Aldridge
Mitglied

Beiträge: 11.773
Dabei seit: 13.08.2009
Wohnort: -
|
Betreff: Re: Industrial Light & Magic
Heute mal ein bisschen Nostalgie. Anlässlich der OT / PT-Diskussion ein Artikel aus dem Spiegel von 1999 anlässlich der Tricks in Episode I:
Zitat:
23.08.1999
FILMTRICKS
Mischpult für Muskeln
Von Scriba, Jürgen
Die neueste Episode der "Star Wars"-Saga enthält die aufwendigsten Computeranimationen der Filmgeschichte. In seinem Trickstudio schuf Regisseur George Lucas Kunstwelten von verblüffender Perfektion. Die Digitaltechnik macht filmische Realität beliebig formbar.
Auf Rob Colemans Schreibtisch steht ein kleiner Schminkspiegel. Monatelang hat er immer wieder hineingeblickt und merkwürdige Sätze deklamiert: "Wesa no like da Naboo!"
"Wir mögen die Naboo nicht", soll das in einem außerirdischen Dialekt heißen - wie wirkt dieser Satz mit einem Ausdruck von Abscheu? Unzählige Male hat Coleman seine eigene Mimik im Spiegel untersucht und überlegt, wie sich die Verachtung wohl im Gesicht von "Boss Nass" ausdrücken würde, dem äußerst korpulenten Anführer der "Gungan" auf dem Planeten "Naboo".
Die Figur hat sich "Star Wars"-Schöpfer George Lucas ausgedacht, und Colemans Job ist es, als Chef der Animationsabteilung von Lucas' Trickfirma Industrial Light and Magic (ILM), die Hirngespinste des Science-Fiction-Gurus auf der Leinwand mit Fleisch und Blut auszustatten.
Seit "Episode I - die dunkle Bedrohung" letzte Woche in den deutschen Kinos angelaufen ist, raunt die PR-Maschinerie wieder einmal von galaktischen Mythen und preist die religiöse Qualität des Weltraumopus. Wem es gelingt, das Pathos zu ignorieren, kann den Film als das genießen, was er wirklich ist: der aufwendigste Trickfilm aller Zeiten.
An wenigen Fingern lassen sich jene Filmminuten abzählen, die nicht vom elektronischen Scanner in höchster Auflösung zu digitaler Rohmasse verarbeitet, von Hochleistungsrechnern durchgeknetet und nach Monaten der Reifung Bildpunkt für Bildpunkt wieder auf Celluloid geschrieben wurden. 250 Computergrafiker waren rund zwei Jahre lang mit der Herstellung des Kunstproduktes beschäftigt.
So verschmolzen Szenenfragmente aus einem englischen Flugzeughangar, einem italienischen Palast und einem tunesischen Dorf zu einer Scheinwelt, die Experten wie Coleman mit virtuellem Leben füllten. Schauspieler der Gattung Homo sapiens wirken in dieser Kulisse kein bisschen realer als die Computerkreationen.
Die Pixelfabrik ist in einem gesichtslosen Industriegebiet bei San Francisco angesiedelt, einige Meilen nördlich der Golden Gate Bridge. Als Adresse fungiert ein Postfach, kein Schild weist auf die wahre Funktion der Gebäude hin - der unauffällige Haupteingang trägt die nichts sagende Aufschrift "Optisches Forschungslabor".
Colemans Bildschirm ist ein Fenster in eine Welt voller merkwürdiger Kreaturen. Die Gungans zum Beispiel sind Amphibien von menschenähnlichem Körperbau. Sie leben in gläsernen Kuppelstädten unter Wasser, ihre Gesichter erinnern an eine Mischung aus Schuhschnabel-Vogel und Pferd, umrahmt von schulterlang hängenden Schlabberohren.
Früher wären Trickfilmer zufrieden gewesen, hätte sich so eine Figur auf der Leinwand einigermaßen flüssig bewegt; jetzt sollen die Fabelgeschöpfe auch in Nahaufnahmen als glaubwürdige Partner der lebenden Schauspieler erscheinen.
Zunächst versuchten die ILM-Spezialisten, die Mimik von Menschen zu digitalisieren und auf die Kunstwesen zu übertragen. Doch die Ergebnisse wirkten grotesk und überzeichnet.
"Als größtes Problem stellte sich heraus, dass Gungans keine Augenbrauen haben", erklärt Coleman. "Wie wichtig diese für die Darstellung von Emotionen sind, merkt man erst, wenn sie fehlen."
Die Animateure mussten eine eigene Gungan-Anatomie entwickeln. Mit Hilfe der ILM-Software "Cari" definierten sie dutzende von Gesichtsmuskeln unter der virtuellen Haut, die sich mit Reglern auf dem Bildschirm einzeln anspannen lassen. Andere Regler wiederum wirken auf ganze Muskelgruppen, die verschiedenen Gefühlsregungen zugeordnet sind wie "schüchternes Grinsen" oder "Überraschung". "Wie an einem Mischpult im Musikstudio", erklärt Coleman, komponiere er die außerirdische Mimik.
Damit virtuelle und reale Schauspieler überzeugend miteinander agieren, ersannen die Trickkünstler eine simple Methode: Alle Schauspieler, die den Computerkreaturen später ihre Stimmen leihen, waren bei den Dreharbeiten dabei.
Bei den Proben traten die Sprecher als Platzhalter in der Kulisse auf; während der Aufnahme trugen sie ihren Part außerhalb des Sichtfeldes der Kamera vor. Dabei waren Videokameras auf ihre Gesichter gerichtet. Diese Aufnahmen benutzten die Animateure als Vorlage für die Mimik der Digitalgeschöpfe.
Den britischen Shakespeare-Schauspieler Brian Blessed, dessen Physiognomie verblüffend der von Boss Nass ähnelt, den er im Film spricht, mögen die Computerspezialisten besonders. "Der hat so tolle Grimassen geschnitten, das hat uns wirklich sehr geholfen", meint Coleman.
Die Computerfigur "Jar Jar Binks", ein tollpatschiger Gungan-Krieger, dessen Missgeschicke die ansonsten eher schlichte Handlung auflockern, wurde beim Dreh von Ahmed Best gedoubelt. Der talentierte Tänzer und Sänger musste einen Helm mit Jar-Jar-Latexkopf und eine klobige Sonnenbrille tragen, wenn er durch die Szenerie watschelte, damit die anderen Schauspieler nicht in sein Gesicht, sondern in die Glupschaugen der virtuellen Amphibie blickten, die später seinen Platz einnehmen sollte.
Auch die Kulissen boten den Akteuren während der Dreharbeiten nur grobe Anhaltspunkte für die späteren Schauplätze. Auf dem Erkundungstrip durch die Sümpfe von Naboo zum Beispiel streiften Jedi-Ritter und der Hofstaat von Königin Amidala zunächst durch ein englisches Wäldchen, in dem Techniker exakt vermessene orangerote Hütchen aufgestellt hatten, wie sie üblicherweise Baustellen markieren.
Aus der Position dieser Farbtupfer konnten Computer nach der Digitalisierung des Filmmaterials die Position der Kamera berechnen und die Perspektive von realer und virtueller Welt exakt zur Deckung bringen. Eine raffinierte Montage ersetzte Teile des profanen Waldes durch Ansichten eines in der Modellbauwerkstatt angefertigten Miniatursumpfes. Hier griffen die Trickexperten auf veraltete Methoden zurück, denn ausschließlich im Computer generierte Wasserflächen wirken immer noch merkwürdig steril und quecksilbrig.
Dann bevölkerten Coleman und sein Team das Unterholz mit Digitalfiguren. "Am Anfang hatten wir in jeder Szene zwei bis drei animierte Wesen, doch Lucas wollte immer noch eins hier und eins da und manchmal noch einen Vogel unscharf im Hintergrund", schildert Coleman die Strapazen.
Selbst digitalen Statisten hauchten die Computerkünstler eine Spur von Charakter ein. So besetzen nach der Invasion von Naboo ganze Bataillone von Kampfrobotern der Föderation den Planeten - primitive Maschinen auf Stockbeinen, die Befehle schnarrend mit "Roger, Roger" quittieren und in Reih und Glied marschieren.
Zu mechanisch, fand Lucas und forderte die Trickexperten auf: "Lasst sie sich wie Tauben bewegen." Die Animateure entwickelten daraufhin sekundenlange Bewegungssequenzen aus kaum merklichem Kopfrucken und Gliederzucken, die für jeden Roboter in unterschiedlichen Zeitzyklen ablaufen und so selbst in Massenszenen identischer Apparate beim Betrachter unterschwellig ein Gefühl von Lebendigkeit hervorrufen.
Die Detailversessenheit des neuen Films gipfelt im "Pod Race" auf dem Planeten Tatooine, einem auf Kino-Format aufgeblasenen Hochgeschwindigkeits-Videospiel, in dem das Wunderkind Anakin Skywalker gegen verwegene Rennfahrer antritt.
Absurde Fluggeräte rasen durch die seekrank machende Sequenz: Freischwebende Düsentriebwerke, die Fahrerkabinen an Drahtseilen hinter sich herziehen, zischen über den Wüstenboden und durch schroffe Canyons. Mit Gänsehaut erzeugendem "Schranz!" schrappt Metall auf Metall, wenn sich die Desperados vom Kurs abdrängen und die Verlierer am Fels zerschellen.
Kaum ein Kinogänger wird Augen für das Stadion haben, in dem Start und Ziel der Wettfahrt liegen. In jeder Runde des Rennens erscheint es nur für einige Sekunden im Bild.
Das von Hand geschreinerte Stadion-Modell wurde am Computer mit einer riesigen Zahl von Lebewesen gefüllt. Dabei erscheint die gaffende Menge, aus der Vogelperspektive der Kamera, nur noch als Meer von unscharfen Pünktchen.
Eine ganze Menschenmenge zu berechnen ist an sich schon eine Herausforderung. Doch den ILM-Trickspezialisten gelang sogar, in dieser Massenszene mit Hilfe einer so genannten Partikelanimation noch Details sichtbar zu machen: Pünktchen ballen sich zu jubelnden Fan-Gruppen, auf den Gängen zwischen den Sitzreihen herrscht ständiges Kommen und Gehen zu imaginären Sanitäranlagen und Erfrischungsständen. Durch den Staub der Arena wuseln mit Mühe zu erkennende Mitglieder der Rennteams.
Kaum eine Illusion, für die es bei ILM keine passende Software gäbe. Mit jedem Film, der in den Trickstudios bearbeitet wird, wächst auch der Fundus an elektronischen Werkzeugen, mit denen Lucas seine Welten basteln kann. Über ein dutzend Programmierer verfeinern fortwährend das Arsenal.
Christian Rouet, Manager der Forschungsabteilung, arbeitete zwei Jahre an einem Programm, das immateriellen Objekten physikalische Eigenschaften verleiht. Es half zum Beispiel, die Probleme der Animationsspezialisten mit Jar Jars skurrilen Lauschern zu lösen.
"Wenn die Figur den Kopf dreht, schlabbern die Ohren scheinbar unkontrolliert herum, wickeln sich um den Hals und rollen sich wieder ab", erklärt Rouet. "Niemand hat so ein Wesen je gesehen, aber das menschliche Gehirn registriert sofort, wenn diese Bewegungen nicht so aussehen, wie man das erwarten würde." Subtile Details wie dieses können die Glaubwürdigkeit einer virtuellen Kreatur in Sekundenbruchteilen erschüttern.
Die neue Software funktioniert nach ähnlichen Prinzipien, mit denen Autokonstrukteure Crashtests am Computer simulieren. Die Kunst der Animationsexperten besteht darin, dem Körper des Fabelwesens die richtigen Parameter für Masseverteilung und Elastizität zu geben.
"Es ist gut zu wissen, wie die Physik richtig funktioniert, aber manchmal sieht es besser aus, wenn man ein bisschen mogelt und zum Beispiel die Schwerkraft ein wenig verändert", verrät Rouet.
Ein eigenes Programm entwickelte ILM für den naturgetreuen Faltenwurf von Stoffen - eine Komplikation, die die Komplettanimation des Oberjedis Yoda in seiner Mönchskutte in den früheren "Star Wars"-Filmen unmöglich machte.
Auch die bislang härteste Nuss der Computergrafik hat Rouets Truppe inzwischen geknackt: digitales Fell. Nicht aus Zufall waren im Dino-Thriller "Jurassic Park" von 1993 schuppenhäutige Echsen die Hauptdarsteller - es gab seinerzeit keine Möglichkeit, naturalistisches Haarkleid zu errechnen.
"Fell ist unglaublich schwierig", erklärt Rouet. "Seine Wirkung entsteht durch die unregelmäßig durchschimmernde Haut und das komplexe Lichtspiel zwischen den Haaren, die wiederum unterschiedliche Farbe und Struktur haben und nach komplizierten Mustern geordnet sind."
Den Durchbruch beim virtuellen Haar erzielte ILM mit dem volldigitalen Gorilla in "Mein großer Freund Joe". Als wollten die Ingenieure nun ein bisschen angeben, trottet im jüngsten "Star Wars"-Film ein extrem zotteliges Tier, das an ein Mammut erinnert, durch den Hintergrund einer Straßenszene auf dem Planeten Tatooine.
Sich irgendwann völlig von der Wirklichkeit und den unberechenbaren menschlichen Akteuren zu emanzipieren ist Lucas' erklärtes Ziel. Seit dem Wirbelsturmepos "Twister" beherrscht seine Crew die Naturgewalten, mit dem Gruselfilm "Die Mumie" lernten die Trickexperten, mit den unappetitlichen Innereien menschlicher Körper umzugehen. Viel scheint nicht mehr zu fehlen, bis er auf echtes Film- oder Videomaterial ganz wird verzichten können.
Doch das Kunstuniversum wirft mitunter auch seine eigenen Rätsel auf. So muss sich Coleman immer wieder hämische Kommentare zur Schlussszene der neuen Science-Fiction-Episode anhören: Wenn die Gungan-Krieger nach der Befreiung von Naboo im Triumphzug durch die Straßen ziehen, scheinen sie beim Marschieren auf seltsame Weise über dem Boden zu schweben.
"Niemand weiß, woran das liegt", gesteht Coleman gequält. Dabei entstand ausgerechnet diese Sequenz mit dem "Motion Capture"-Verfahren: Die Bewegungen menschlicher Schauspieler wurden digital vermessen und im Computer dann sklavisch korrekt zur Animation der Fabelwesen verwendet.
Doch zu viel Realität sieht eben einfach nicht echt aus.
Quelle: http://www.spiegel.de/...55409.html
|