Aldridge
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Betreff: Re: Verstorbene Prominente
Ich finde auch, dass es mit einer Besprechung im eigentlichen Sinne - die dem Film also gerecht wird - nichts zu tun hat. Es geht dabei mehr darum, dass die Kritik an sich unterhält, als dass sie wirklich rezensiert.
Umso merkwürdiger, dass er ein Jahr später Spielbergs E.T. umso nüchterner, beinahe gleichgültig abhandelte:
Zitat:Männchen mit Herz
"E. T. der Außerirdische". Spielfilm von Steven Spielberg. USA 1982; 114 Minuten; Farbe.
ET. (sprich: Iitii) könnte, obwohl man zunächst denkt, es handle sich um den Namen eines europäischen Schnellzugs, in dem Geschäftsreisende ihre Füße in Socken auf weiche Sitze legen, E. T. könnte bald der neben J. R. (sprich: Dschäiaar) bekannteste Amerikaner in Deutschland werden.
Dabei ist E. T. nicht mehr als das neueste Spielzeug aus der Spielwarenfabrik von Steven Spielberg, die schon weiße Haie, unheimliche Begegnungen der dritten Art und verlorene Schätze nebst Jägern für Kinder aller Altersklassen produziert und damit das größte Geschäft Hollywoods gemacht hat.
Jetzt also E. T., das kleine liebe Marsmännchen (oder -weibchen), das bei einer eiligen Raumschiff-Flucht auf der Erde und natürlich in den USA (auch Raumschiffe respektieren, wer irdisch das Sagen hat) zurückgelassen wird und mit einem kleinen lieben amerikanischen Jungen Freundschaft schließt, bevor es, heimwehkrank und erdenmüde, nach einem Ferngespräch zum Mars wieder abgeholt wird - nicht ohne sich von seinem irdischen Freund so geschmerzt zu verabschieden wie Ingrid Bergman von Humphrey Bogart in "Casablanca".
Prompt wurde "E. T." in den USA zum lautesten Kassenheuler aller Zeiten, und auch in Deutschland, wo er zur Vorweihnachtszeit gelandet wird, dürfte das Spielbergwerk, das zu Träumen und zu Tränen stimuliert, der maroden Kinobranche einen Lichtblick gewähren: immer wenn man denkt, es geht nichts mehr, kommt ein neuer Spielberg her.
Die ans Herz greifende Rührseligkeit der Geschichte von "E. T." läßt das Kinomärchen als modernen Nachfolger der Walt-Disney-Mythen erscheinen, die in den vierziger und fünfziger Jahren die kindlichen Gemüter auch regelmäßig zur Weihnachtszeit okkupierten. Doch Spielberg, der ein ebenso phantasiereicher wie abgebrühter Profi ist, nähert sich Disney ebenso stark, wie er sich dann doch wieder von ihm weit entfernt.
Die Nähe, das ist die sanfte, gewaltfreie Kinderwelt, die fast mit dem Bambi-Weichzeichner gemalt scheint. "E. T." jedenfalls unterscheidet sich durch seine zarte kindliche Geschichte wohltuend von jener von Laserstrahlen durchzuckten, vom Kampfgeknatter durchtobten Welt der Sternenkriege, bei denen, zum Vergnügen des Publikums, alles in Scherben fällt und ein bloßer Weltuntergang eine Bagatelle in all den galaktischen Katastrophen ist.
Zwar stammt auch E. T., wie sein Name (eine Abkürzung für extraterrestrial) schon sagt, aus dem im Kino so S.233 allmächtigen All, aber sein Schicksal in den zwei Kinostunden ist ganz und gar riesig diesseitig. Er lernt die Welt im Kinderzimmer eines amerikanischen Einfamilienhauses kennen: die niedlichen Stofftiere und Plastikmonstren, zwischen denen sich das Marswesen verstecken und tarnen kann, das auf unzähligen Kanälen knatternde Fernsehen und das Junkfood im Kühlschrank, das in Plastikeimern auf alsbaldigen Verzehr wartet.
Soweit die drei Kinder freundlich mit E. T. umgehen, vor dessen embryoartige Froschkönig-Häßlichkeit sie sich schützend stellen, erinnert der Film an Disneys Welt: Während die großen Augen traurig in dem qualligen Kopf rollen und die Stimme barmend "nach Hause" quakt, ist der Zuschauer geneigt, sich über dieses Filmbaby zu beugen wie über einen Kinderwagen, wo man ja auch zu großkopfig greinenden Säuglingen gerührt sagt: "Ist er nicht süüß!"
Aber die Welt, in die E. T. gerät, ist radikal anders als in der guten alten Disney-Zeit. Der Vater hat die Einfamilienhausidylle und seine drei Kinder schnöde verlassen - nach Mexiko, wie die kleine Tochter schreckhaft ahnungslos nachplappernd sagt. Jeder Zuschauer ahnt, daß er da mit einer neuen Braut unterwegs ist, während seine Kinder noch Wäschestücke des Vaters wie archäologische Fundstücke aus der glücklichen Familienzeit aufspüren.
Und auch die Mutter, sosehr sie ihre drei Kinder mit glücklichen Stoßseufzern der Anstrengung umsorgt, steht der Phantasiewelt der Kleinen so fremd und gleichgültig gegenüber, daß sie deren Erzählung über E. T. ungeduldig abtut, ja den kleinen Fremdling nicht einmal bemerkt. als der sich während der Halloween-Maskerade sogar zum Schnappschuß-Gruppenphoto drängt. So zeigt Spielberg eindringlich die unendliche Fremdheit zwischen der Welt der Kinder und der Erwachsenen: eine Einöde, die schrecklich leer bleiben müßte, würde sie nicht mit Märchenträumen bevölkert, wie E. T. einer ist.
In einem geradezu sarkastischen Frontalangriff demonstriert Spielberg die Unvereinbarkeit dieser beiden Welten, wenn die amerikanischen Sicherheits-, Raumfahrt- und Gesundheitsbehörden über E. T. herfallen. Da durchkämmen Abhörwagen bedrohlich die stille Vorstadtidylle und vollführen rüde Lauschangriffe auf das Kinderzimmer; die panische Furcht vor allem Fremden und unter Umständen mit unbekannten Bazillen Behafteten unternimmt eine Hygiene-Attacke gegen den kleinen harmlosen Embryo, die sich wie eine konzertierte Aktion von Kammerjägern und Terroristenbekämpfern ausnimmt.
Auch daß der Marsknirps, als er heimwehkrank und erschrocken zusammenklappt, in einem eilig errichteten Plastik-Feldlazarett zu Tode operiert wird, nimmt sich wie eine gallige Satire auf eine total technifizierte, allgewaltige Medizin aus: E. T. landet auch prompt nach der Operationsorgie in einer Gefrierbox für Tote. Doch mit einer derartigen Gefühlskälte will Spielberg seine Zuschauer von sechs bis sechzig nicht entlassen und legt, auch mit einem akustischen Finale, das klingt, als sei Bernstein beim Dirigieren einer Feuerwehrkapelle größenwahnsinnig geworden, gewaltig Gemüt auf.
Der kleine Junge sagt zum scheintoten E. T. "Ich liebe dich", ein Satz, der schon in ungezählten Melodramen Tote zum Leben erweckt hat. E. T. glüht auf wie ein Infrarotgrill, erwacht zum Leben und flieht mit den Kindern auf fliegenden Fahrrädern zum Raumschifflandeplatz. Wer mit feuchten Augen aus dem Kino kommt, wird bald "E. T."-Stofftiere, "E. T."-Fahrräder, "E. T."-Schallplatten, S.236 "E. T."-Bücher und viele Undsoweiters kaufen können. Und daß Spielberg bald "E. T. II" drehen wird, darauf ist jede Wette zu halten. Zur deutschen Premiere von "E. T." kann er nicht kommen, weil er zur Zeit den zweiten Teil zum "Jäger des verlorenen Schatzes" dreht. Hellmuth Karasek
Quelle: http://www.spiegel.de/...56609.html
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