FloW
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Betreff: Re: Antike Maschine entschlüsselt: Antikythera
GEO+ ANTIKYTHERA
Indiana Jones: Was wirklich hinter dem "Rad des Schicksals" steckt
Der neue Indiana-Jones-Film läuft in den Kinos. Das Vorbild für das "Rad des Schicksals" liefert der Mechanismus von Antikythera. Es ist ein mehr als 2000 Jahre alter Computer, der Himmelsereignisse präzise berechnet. Je besser Forschende ihn verstehen, desto genialer erscheint seine Funktionsweise.
Von Ulf Schönert
30.06.2023, 10:57 • 7 Min.
Als der Schwammtaucher Elias Stadiatis im Frühjahr des Jahres 1900 vor der griechischen Insel Antikythera auf ein Wrack stieß, wusste er sofort, dass er einen gewaltigen Schatz entdeckt hatte. In großen Mengen lagen Statuen, Amphoren, Gläser, Keramik und Schmuck auf dem Meeresgrund herum. Sie stammten offenbar von einem großen Schiff, das in der Antike mit voller Ladung untergegangen war. Umgehend alarmierten Stadiatis und sein Taucherteam das Archäologische Nationalmuseum in Athen. Sie erhielten den Auftrag, die Objekte vom Meeresgrund zu bergen.
Und das taten sie: In kräftezehrenden Tauchgängen holten sie alles nach oben, was sie finden konnten – darunter eine unscheinbare Holzkiste, in ihr ein korrodierter Metallblock von der Größe eines Schuhkartons. Da niemand wusste, wozu dieses Objekt gut gewesen sein mochte, verschwand es zunächst unbeachtet in einer Kiste im Innenhof des Museums.
Erst nachdem die Archäologen die Kostbarkeiten des Schiffs, die Statuen, die Büsten und den Schmuck, ausführlich untersucht hatten, befassten sie sich mit dem rätselhaften Stück. Aufgrund der wenigen erhaltenen Inschriften – unter anderem entzifferten sie den Namen des Frühlingsmonats "Pachon" – vermuteten sie, dass es sich um eine Art Sternenkalender handelte. Ausprobieren konnte man den Fund nicht mehr, dafür war er zu stark beschädigt. Er verschwand erneut im Schrank.
Zahnräder aus Bronzeblech
Erst 50 Jahre später wurde der Antikythera-Mechanismus schlagartig weltberühmt. Der britische Forscher Derek de Solla Price hatte ihn, auch mithilfe von Röntgenstrahlen, erstmals eingehend untersucht. Und erkannt, dass es sich um die Überreste eines feinmechanischen Geräts handelte, das so kompliziert war, dass es die alten Griechen nach damaligem Wissensstand eigentlich nicht hätten bauen können. Price drückte es so aus: "Es war, als hätte man in Tutanchamuns Grab einen Düsenjet gefunden."
Allein die Tatsache, dass der Mechanismus auf dem Zusammenspiel filigraner Zahnräder beruhte, war eine Sensation. Die Zahnräder waren aus Bronzeblech von nur zwei Millimeter Dicke geschnitten, gesägt und gefeilt worden. Sie waren so angeordnet, dass sie wie in einem Uhrwerk ineinander griffen und auf diese Weise Zeiger und Skalen auf der Vorder- und Rückseite des Geräts bewegten. Die frühesten bekannten Instrumente von solcher Feinheit stammten aus dem Mittelalter. Nie zuvor hatte man Ähnliches aus der Antike gefunden, weder bei den Griechen noch bei den Römern, Ägyptern oder Babyloniern. Der Mechanismus von Antikythera schien seiner Zeit um mehr als 1000 Jahre voraus.
Damit war das Interesse der Weltöffentlichkeit geweckt. Der berühmte französische Meeresforscher Jacques-Yves Cousteau besuchte den Fundort gleich zweimal: 1953 und 1976. Entscheidend Neues fand er allerdings nicht. Der Esoterikschriftsteller Erich von Däniken erklärte die aus der Zeit gefallene Technik mit einem früheren Besuch Außerirdischer auf der Erde. Derweil versuchten seriöse Forschende, den Resten der Maschine das Geheimnis ihrer Funktionsweise zu entlocken – etwa indem sie Nachbauten anfertigten.
Das Problem: Durch die unsachgemäße Behandlung war der Mechanismus zerstört. Metallteile, die sich im Meerwasser gut erhalten hatten, zerfielen durch die Reaktion mit dem Luftsauerstoff. Von der Holzkiste, in die das Gerät bei seiner Bergung eingefasst gewesen war, waren nur noch Bruchstücke erhalten. Sie hätte genauere Hinweise auf Herkunftsort und Alter der Maschine liefern können.
Der Lauf der Himmelskörper
Die Fachleute kamen zu dem Schluss, dass das Gerät aus dem ersten oder zweiten Jahrhundert vor Christus stammte und dass wahrscheinlich nur ein Drittel erhalten war. Die insgesamt 82 noch vorhandenen Bruchstücke waren demnach Teil eines analogen Rechners, mit dem sich Himmelsphänomene abbilden ließen – etwa die Mondphasen und der Lauf der erdnahen Planeten.
Aber wie hatte die Maschine funktioniert?
Der Antwort sind Forschende erst in jüngster Zeit entscheidend näher gekommen. Einem interdisziplinären Team aus den Fachgebieten Technik, Physik, Astronomie, Materialwissenschaften, Altertums- und Zeitmessforschung gelang es, die Funktionsweise der Maschine weitgehend zu enträtseln. Das Team des "Antikythera Mechanism Research Project" um den Mitbegründer und Mathematiker Tony Freeth wies nach, dass die Maschine deutlich kompliziertere Berechnungen anstellen konnte, als man vermutet hatte. Ihre Ergebnisse veröffentlichten sie im März 2021 in der Fachzeitschrift "Scientific Reports".
Bedient wurde die Antikythera-Maschine demnach mit einem Drehrad an der Seite des Geräts – ähnlich der Krone bei einer Aufziehuhr. Damit ließ sich das Hauptzahnrad hin- und herdrehen. Es setzte mindestens 30 weitere Zahnräder in der Maschine in Bewegung. Diese wiederum trieben bewegliche Ringe und Zeiger auf der Vorder- und Rückseite des Geräts an, sodass diese den Lauf der Himmelskörper stets im richtigen Verhältnis abbildeten.
Auf den Ringen angebrachte Halbedelsteine zeigten die Position der fünf damals bekannten Planeten Merkur, Venus, Mars, Jupiter und Saturn an, eine drehbare, halbseitig schwarz angemalte Elfenbeinkugel vermutlich die Phasen des Mondes. Mit einem Blick konnte der Benutzer außerdem den Zyklus der panhellenischen Spiele ("Olympiaden") ablesen, die Position der Himmelskörper in Relation zum Tierkreis und sogar die Wahrscheinlichkeit einer Sonnen- oder Mondfinsternis. Knifflige Berechnungen notwendig Um eine Maschine zu bauen, die solche Berechnungen leisten kann, sind außergewöhnliche astronomische, mathematische und handwerkliche Kenntnisse nötig. Denn die Bewegungen der Himmelskörper verlaufen kompliziert.
Eine einfache Relation, zum Beispiel eine doppelte Umlaufgeschwindigkeit, lässt sich mit Zahnrädern leicht nachbilden: Ein Zahnrad greift in ein zweites von halbem Umfang. Vollzieht das große Rad eine ganze Umdrehung, dreht sich das kleine Rad in derselben Zeit zweimal. Doch so einfach gestaltet sich der Lauf der Himmelskörper nicht. Der Mond etwa umrundet in einem Jahr 12,36-mal die Erde. Um dieses Verhältnis mit Zahnrädern zu simulieren, sind knifflige Berechnungen und die Anfertigung vieler unterschiedlich großer Räder notwendig. Darüber hinaus entwickelte der Baumeister ein System, bei dem die Zahnräder nicht nur direkt ineinandergriffen, sondern sich mittels eines Metallstifts leicht versetzt antrieben. Auf diese Weise nahm ihre Drehgeschwindigkeit die gewünschte Unregelmäßigkeit der Planetenbahnen an. Mit 3-D-Scannern gelang es den Wissenschaftlern, auch das Innere des Metallblocks Schicht für Schicht zu untersuchen. Dabei entdeckten sie nicht nur bislang unbekannte Teile. Sie konnten – anders als beim normalen Röntgen – auch deren Lage innerhalb des Blocks genau bestimmen. Die Methode brachte außerdem unentdeckte Buchstaben im Inneren des Geräts zum Vorschein: Fragmente der einstigen Beschriftung.
Der Heureka-Moment
Aus den Wörtern, Buchstaben und Zahlen Rückschlüsse auf die Funktionsweise zu ziehen war die schwierigste Aufgabe des Teams. In der Beschriftung tauchen etwa die griechischen Namen der Planeten Venus und Saturn auf; die Venus flankiert die Zahl 462, den Saturn die 442. Niemand hatte diese Werte jemals im Zusammenhang mit antiker Astronomie gesehen. Hatten sie mit der Anzahl der Zähne der Zahnräder zu tun? Oder mit der Länge der Umlaufbahn damals bekannter Planeten?
Die Forschenden suchten in antiken Quellen – und wurden in einer Schrift des griechischen Autors Parmenides fündig. Demnach wussten damalige Gelehrte, dass die Venus in acht Erdenjahren etwa fünfmal ihre Bahn über den Himmel zieht. Das bedeutet: Nach jeweils 8/5 Jahren steht sie am Firmament wieder im gleichen Winkel zur Sonne. Diese Zeitspanne wird als synodische Periode bezeichnet. Die griechischen Gelehrten wussten aber auch, dass der Wert von 8/5 Jahren nicht ganz präzise war, sondern dass eine Periode von 1151/720 Jahren der Wahrheit deutlich näher kam.
Diese Relation mit Zahnrädern abzubilden ist jedoch schwerlich möglich, denn 1151 ist eine Primzahl. Um sie exakt darzustellen, hätte man ein riesiges Zahnrad mit 1151 Zähnen einsetzen müssen. Doch den Erbauern des Antikythera-Mechanismus war es offenbar gelungen, die Venusbahn mit kleineren Zahnrädern präzise wiederzugeben. Doch wie? Freeth und sein Team probierten herum – und wurden fündig, als sie die genaueren mit den weniger genauen Werten kombinierten. Die mehrfache Addition der Verhältnisse 1151/720 und 8/5 war es, die schließlich zu einem neuen, sehr präzisen Verhältnis für die Position der Venus führte: 289 Himmelsbahnen in 462 Jahren. Diese Werte lassen sich im Mechanismus problemlos mit Zahnrädern umsetzen, die jeweils weniger als 100 Zähne besitzen. Als es mit der beschriebenen Additionsmethode gelang, für den Planeten Saturn eine Periode von 442/427 Jahren zu errechnen und so
ebenfalls die Inschrift aufzugreifen, war klar: Das Team hatte den Mechanismus geknackt. "Es war ein Heureka-Moment", sagt Freeth.
Die Suche nach dem Zweck
Die Berechnungen sind umso bemerkenswerter, als das astronomische Wissen der Zeit große Lücken aufwies. So folgten die Griechen dem geozentrischen Weltbild, nach dem Sonne und Planeten sich um die Erde drehen. Andererseits hatten antike Astronomen bereits erstaunlich präzise Beobachtungen gemacht: Sie konnten die Länge eines Jahres äußerst genau bestimmen. Sie wussten, dass Mondfinsternisse dem knapp 223 Monate langen "Saros-Zyklus" folgen und dass der Mond in Bezug auf Sonne und Erde alle 19 Jahre die gleiche Position am Himmel einnimmt ("metonischer Zyklus").
All das floss in die Konstruktion des Antikythera-Mechanismus ein. So bildet eines seiner Zifferblätter genau 76 Jahre ab und ist in vier Abschnitte unterteilt: Es sind die 19 Jahre des metonischen Zyklus.
Wozu aber all die Arbeit? Welchen Nutzen hatte das Gerät und für wen?
Darüber kann auch das Antikythera Mechanism Research Project bis heute keine genaue Auskunft geben. Frühere Forschende hatten vermutet, der Mechanismus sei als Navigationsgerät auf dem Schiff zum Einsatz gekommen, doch diese These ist längst widerlegt.
Auch auf andere praktische Einsatzmöglichkeiten, zum Beispiel in der Landwirtschaft, gibt es keine Hinweise. Eine spirituelle Verwendung in einem Tempel oder zur Erstellung von Horoskopen ist nicht ausgeschlossen, aber auch darauf gibt es keine Hinweise.
Gut möglich, dass der Antikythera-Mechanismus überhaupt keinem konkreten Zweck diente.
Das hätte er gemeinsam mit der Philosophie. Auch die erlebte ihre erste Blüte im antiken Griechenland und gilt als Ausdrucksform einer Zeit relativen Wohlstands, politischer Stabilität und einer Kultur, die erstmals imstande war, weit über das unmittelbar Nützliche und Praktische hinauszudenken. Gut möglich, dass der Mechanismus von Antikythera die technische Entsprechung dieses Denkens war, eine Art Philosophie-Maschine, deren Zweck allein die Freude an der Erkenntnis war.
Bedienung durch Laien vorgesehen
Darauf deutet auch ihr Fundort inmitten kunstvoller Statuen an Bord des Wracks hin. Alles spricht dafür, dass die wertvolle Fracht auf dem Weg zu einem römischen Abnehmer griechischer Kunst war. Sollte die Himmelsmaschine als technisches Kuriosum an einen betuchten und wissenschaftsbegeisterten Oberschichtler verkauft werden? Als Statussymbol, um sie herumzuzeigen und damit anzugeben? Dafür spräche die ausführliche Beschreibung der Funktionsweise, die sich auf dem Gerät befindet. Offensichtlich war es zur Bedienung durch Laien vorgesehen.
Dass es solche zweckfreien Spielzeuge in der Antike gab, wissen wir aus der Literatur. So hatte der römische Schriftsteller und Feldherr Marcus Claudius Marcellus bei einem Feldzug in Sizilien ein Instrument namens "Sphäre" erbeutet, das von dem berühmten Denker Archimedes konstruiert worden war. Wie der Antikythera-Mechanismus war auch die Sphäre aus Bronze und konnte die Umlaufbahnen von Sonne, Mond und Planeten abbilden. Marcellus – wie später auch seine Nachkommen – benutzte das Gerät in erster Linie, um Gäste des Hauses zu beeindrucken, darunter den Schriftsteller Cicero, durch dessen Aufzeichnungen wir von der Existenz der Sphäre wissen. Denn auch sie ging irgendwann verloren – und so bleibt die Antikythera-Maschine der einzige erhaltene Mechanismus dieser Art.
Bild 1: Puzzleteile: Bislang wurden 82 Fragmente des Antikythera-Mechanismus geborgen
© Antikythera-Mechanismus Forschungsprojekt
Bild 2: Meeresforscher Jacques Cousteau (Mitte) besucht die Fundstelle vor Antikythera 1953 und 1976. Sein Team barg zahlreiche Artefakte aus dem Wrack, darunter Bronzestatuen
© Polaris/laif
Bild 3: Rätselhaftes Stück: das größte bisher geborgene Fragment des Mechanismus von Antikythera
© AGB Photo/Imago
Bild 4: Vom Antikythera-Mechanismus existieren zahlreiche Modelle. Klar ist: Das Räderwerk war in eine Holzkiste eingefasst. Die Vorderseite zeigte Himmelsereignisse, die Rückseite unter anderem kalendarische Ereignisse an
© Jose Antonio Penas/Science Photo Library/akg-images
Quelle: https://www.geo.de/...08130.html
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