Dt. Indiana Jones Fan Forum



#1 09.11.2011, 19:19
Jean Royale Abwesend
Mitglied

Avatar von Jean Royale

Beiträge: 90
Dabei seit: 24.06.2011
Wohnort: -

Betreff: Uropas Kriegserinnerungen
Ich bin mir nicht so sicher, ob es einige von Euch interessiert, aber ich möchte doch einmal mein kleines, privates Projekt vorstellen. Vor drei Jahren war ich mit meiner damaligen Freundin im Urlaub bei meiner Oma, und da habe ich in alten Fotos eines der typischen Erinnerungsalben meines Opas gefunden: Meine Zeit bei der Wehrmacht. Das war tendenziell eher unspektakulär, da er als Bodentruppe bei der Luftwaffe gedient hat und einen sichtlich "ruhigen" Krieg erlebt haben muss. Aber meine Oma sagte, dass ihr Vater, mein Uropa, auch im Krieg war, und zwar im Ersten WK. Er habe sogar Tagebuch geschrieben.

Da waren meine Historikerohren aber SOFORT spitz! Wo, wann, was? Das Tagebuch war sogar erhalten, sagte Oma, das habe ihre Schwester, da könne sie mal anrufen. Ich war ziemlich elektrisiert, denn meinen Uropa kannte ich nur als alten, greisen und stummen Mann, der oben im Wohnzimmer lebte und von Oma gepflegt wurde. Er starb, als ich 13 war. Kurz danach hatte Oma seine alten Unterlagen und Sachen in Tüten gepackt und weggestellt. Als ich dann etwa 18 wurde, habe ich die Sachen bei ihr aufgestöbert und zwischen Steuererklärungen und Rechnungen aus den siebziger Jahren seinen alten Wehrmachtsausweis gefunden, sorgfältig im Originalschuber verstaut, darin sämtliche Bescheinigungen, die er aufbewahrt hatte. Ich habe diesen Schatz einfach mitgenommen, was vermutlich gut war, denn das ganze übrige Zeug hat Oma irgendwann weggeschmissen. Und nun erfahre ich, Jahre später, dass er auch noch ein Tagebuch geschrieben hat!

Wie es dann so ist: Es interessierte jahrelang niemanden, dann fragt einer nach und plötzlich ist es Weltkulturerbe. Na ja, ich durfte das Büchlein mitnehmen, musste aber versprechen, es zurückzuschicken. Über einige Bemerkungen musste ich innerlich fast lachen: So fragte Tante Edith, ob ich die Schrift denn überhaupt lesen könne und ob ich wüsste, was es mit dem Krieg damals so auf sich gehabt hätte. Dabei hatte ich ihr schon mal erklärt, dass ich Geschichte studiert habe. Jedenfalls war das Entziffern ein Kinderspiel, weil Uropa auch sehr akkurat geschrieben hat und mir die Deutsche Kurrent so geläufig ist wie meine eigene Schrift. Ich habe dann zu Hause alles kopiert und den Wehrpass herausgekramt - und da lagen tatsächlich zwei Bescheinigungen von 1921 drin! Ich war hellauf begeistert. Kann man sich etwas schöneres vorstellen? Ich war hier offensichtlich auf einen Schatz gestoßen, und der war - falls das Tagebuch langweilig war - immerhin von einiger familiärer Bedeutung!

Also habe ich mich hingesetzt und anhand der Kopien immer mal wieder, wenn ich Zeit hatte (und das war bis vor einem halben Jahe selten der Fall) ein paar Seiten abgetippt, also transkribiert. Im August bin ich damit fertig geworden und habe mir überlegt, wie ich diese einzigartige Geschichte (denn mit jeder Seite wurde es für mich als Fachmann interessanter) verstetige, also für meine Familie nutzbar machen kann. Und dann habe ich beschlossen, daraus ein Buch zu machen, einfach so - in Eigenarbeit, nur für die Verwandten. Buchbinden kann ich jetzt ja, wie Ihr wisst, also habe ich ein Probeexemplar gemacht und es schon mal meiner Oma gegeben. Jetzt ist wieder etwas Zeit übrig, nun möchte ich noch ein paar Exemplare machen. Die habe ich mit Paperprops angereichert ...

Ich will Euch das nicht aufdrängen. Aber falls es Euch interessiert, was ich wie gemacht habe und was alles in dem Text steht, kann ich gerne in loser Reihenfolge mal was davon zeigen. Ist ja offtopic, deshalb habe ich das hier gepostet und nicht oben bei den Props. Genial ist übrigens der Wehrpass von 1936! Falls Ihr davon Abbildungen für andere Props haben möchtet - kein Thema. Das bietet sich ja geradezu an.
Lukas
"Das sind nicht die Jahre, Schätzchen, das ist Materialverschleiß." Lachender Smiley
 

#2 09.11.2011, 19:30
Largo Abwesend
Mitglied

Avatar von Largo

Beiträge: 746
Dabei seit: 13.07.2008
Wohnort: -

Betreff: Re: Uropas Kriegserinnerungen
Aber sowas von Interesse!

Fällt genau noch in meine Zeit mit der ich mich Geschichtlich am meisten beschäftige.
Freut mich das noch jemand Interesse am 1. WK zeigt und nicht immer nur 2. WK.
 

#3 09.11.2011, 19:37
Leusel Abwesend
Mitglied

Avatar von Leusel

Beiträge: 8.618
Dabei seit: 02.08.2009
Wohnort: -

Betreff: Re: Uropas Kriegserinnerungen
Das würde mich auch interssieren. Schonmal im Voraus vielen Dank fürs Zeigen!
Das lausigste Mitglied des deutschen Indy Forums
 

#4 09.11.2011, 20:34
azrael Abwesend
Mitglied

Avatar von azrael

Beiträge: 7.359
Dabei seit: 19.06.2008
Wohnort: Bakerstreet 221 B, London

Betreff: Re: Uropas Kriegserinnerungen
mach mal!
mich interessiert es eigentlich weniger, aber wenn ich jetzt daran denke wie mein opa von seinen kriegsgeschichten anfängt... da höre ich immer gerne zu. ostfront, russland, gefangenschaft, rückker in die heimat. er reist mich jedesmal wieder mit.
auch zeigt er mir dan gerne alte dokumente. den ariernachweis seines schwagers, briefe die er nach hause geschickt hat...auf birkenrinde weil sie kein papier hatten.
Ein Tippfehler kann alles urinieren...
 

#5 09.11.2011, 20:40
Gast 123
Gast
Betreff: Re: Uropas Kriegserinnerungen
Bin gespannt Grinsender Smiley
Dieser Beitrag wurde 1 mal editiert, das letzte Mal am 09.11.2011, 20:41 von Grisu.  

#6 09.11.2011, 21:35
Jean Royale Abwesend
Mitglied

Avatar von Jean Royale

Beiträge: 90
Dabei seit: 24.06.2011
Wohnort: -

Betreff: Re: Uropas Kriegserinnerungen
Okay, gerne! Erst mal noch zur Klärung, damit kein falsches Bild entsteht: Mein Uropa war zwar an der Front und schreibt auch darüber, was ich aber viel spannender finde, ist die zweite Hälfte der Erinnerungen (denn ein Tagebuch ist es gar nicht, stellte sich dann heraus), die ausschließlich seine zweieinhalb Jahre französische Gefangenschaft beschreiben. Das hat ihn viel tiefer mitgenommen und geprägt als der Krieg! Ich war erst mal irritiert, denn bislang konnte ich mir nicht vorstellen, dass das Erlebnis des "Menschenschlachthauses" hinter der Gefangenschaft zurückstehen könnte.
Freitag hab ich mit einer Kollegin darüber geredet, die über Kriegspsychiatrie 1914-18 promoviert hat. Sie war auch ziemlich fasziniert, weshalb ich das ganze auch nicht einfach so auf sich bewenden lassen will. Aber mal chronologisch:
Mein Uropa ist 1897 in Fürken, einem Dorf in der Nähe von Denklingen im Oberbergischen, geboren und eineinhalb bis zwei Kilometer weiter das Tal hinab in Auchel (gibt es nun nicht mehr, liegt auf dem Boden der Wiehltalsperre) aufgewachsen. Er hat die Volksschule besucht und ist vermutlich bereits mit 15 oder 16 abgegangen, um eine Ausbildung als Schuh-Schaft-Zuschneider in einer benachbarten Lederfabrik zu machen. Wir haben darüber keine Unterlagen, es kann also durchaus sein, dass er auch schon mit 14 ran musste - dafür würde seine mangelhafte Rechtschreibung sprechen. Wie auch immer, er fängt jedenfalls so an:
"Wie war doch alles, als am 2. August 1914 der Krieg anfing, so kampfeslustig und kampfesmutig. So dauerte es auch mir zu lange, bis die Reihe an mich kam. Man wuste eben nicht, was Krieg war. Aber kaum war ich 19 Jahre, da muste ich mich schon zur Aushebung in Waldbröl stellen, und wurde auch sofort als tauglich zur Infantrie geschrieben und nach einigen Wochen wurde auch schon der Stellungsbefehl zugeschickt. Es wurde mir auch schon von der Post aus durch Telephon bescheid gesagt, ich war ja in Heischeid bei Frau Rau am arbeiten. Es war mir, wie allen Andern, eine Freude, Soldat zu werden und dann in den Krieg zu gehen. Aber für Frau Rau war es nicht so leicht, weil ich für sie eine kleine Stütze in der Fabrik war, deshalb versuchte sie auch bei der Behörde, meine Einstellung noch zu verlängern. Dadurch fasten auch meine Eltern dann noch Mut, und hofften, das[s] ich wieder zurück käme. Ich sprach ihnen darauf hin auch gute Hoffnung zu, doch ich dachte im stillen ganz anders. So fuhr ich dann mit fielen [vielen] andern zusammen am 26. September 1916 in aller frühe von Auchel aus mit der Bahn nach Siegburg. Hier ging dann auch alles schnell von statten, weil alles schon soweit auf dem Papier geordnet war. Alle Nahmen wurden den Listennummern nach vorgelesen, und demnach aufgestellt und eingeteilt. Als dann mein Nahme gelesen wurde, lag dann auch die Reklamation vor, selbige wurde aber hier nicht angeschlagen, obwohl sie von der hiesigen Behörde aus befürwortet war. Ich kam dann mit bei einen Transport, welcher für das Regiment 29 in Cöln-Klettenberg bestimmt war."
Ich finde den angedeuteten kritischen Ton am Anfang bemerkenswert, der jedoch nie wieder auftaucht! Nachdem ich das gelesen hatte, war ich natürlich erst recht angefixt! Aber die Frage war, wie ich mit dem Text umgehe. Ich habe ihn so originalgetreu als möglich abgetippt und überall da, wo ein Seitenwechsel war, diesen jeweils im Text in eckigen Klammern vermerkt, wobei ich - wie bei Editionen üblich - Doppelseiten gezählt und die linken Seiten als verso (v) und die rechten als recte (r) bezeichnet habe. Und das waren immerhin - hört und staunt - 125 DinA5 Seiten zu je 20-24 Zeilen. Abgetippt ergibt das bei Verdana 11p eineinhalbzeilig ganze 62 Seiten ... das muß man erst mal schreiben. Auch fand ich es bemerkenswert, dass Uropa sich nach dem Krieg hingesetzt hat und gezielt alles niederschrieb, chronologisch genau mit Datum und Uhrzeit, wo es Sinn machte. Der muss sich das irgendwann mal unterwegs notiert haben und hat das alles hinterher in Reinschrift gebracht. Das finde ich eine beachtliche Leistung für jemanden, der nicht mal in die Nähe des Abiturs gekommen ist. Das soll keine Herabwürdigung anderer sein, die kein Abitur haben, ganz und gar nicht! Nur war es zu dieser Zeit und in der kaiserzeitlichen Gesellschaft völlig unüblich, dass jemand wie er so etwas tat. Es gibt einfach aus der Feder solcher "kleinen Leute" nur sehr wenige Ego-Dokumente in dieser Form (was einfach schade ist!); klassischer Weise würde ich die Gattung der Kriegserinnerungen eher im Bildungsbürgertum verorten, da gab es eine wahre Flut an solchen Berichten von 1914 an bis weit in die 30er Jahe hinein.
Da stellt sich mir die Frage: Warum tut Uropa das? Er hat nach dem Krieg wieder in der Fabrik gearbeitet und in seiner Freizeit dies niedergeschrieben. Ich glaube, der Germanist Helmuth Kiesel hat wohl nicht ganz unrecht, wenn er sagt: „Primär ist wohl die Absicht, dem vergänglichen Leben in Form einer Chronik Dauer zu verleihen.“ Das Vergängliche hat mein Uropa, Robert Jäger, mehr als genug erlebt. Und ich bin überzeugt, dass er auch etwas los werden wollte und sich durch die Erinnerungen alles von der Seele schreiben konnte. Es gibt vermutlich noch mehr Erklärungen, er hat jedenfalls nichts dazu geschrieben. Und es ist eigentlich, das mekrt man immer wieder, es ist unaussprechlich, was er erlebt hat. Die Unfähigkeit, durch das nachträgliche mündliche Erzählen die Momente von Tod, Zerstörung, Überleben, Erniedrigung und zermürbende Gefangenschaft den Angehörigen – oder auch sich selber – auch nur annähernd begreiflich zu machen oder nahezubringen, kommt sicherlich hinzu, wie bei Robert Jäger im letzten Kapitel deutlich wird: „Denn wir kannten ja keinen mehr, der uns erfreuen wolle, und doch dieses [der Empfang] war alles [nur] für uns, um uns wieder froh und glücklich zumachen.“ (S. 58v) Und: „Auch dieses Gefühl der Rührung kann ich keinem Schildern, nur der kann es verstehn und mit fühlen, der dasselbe Los getragen hatte.“ (S. 60v) Sowie: „So sage ich es noch einmal, wer die gleiche Schicksalszeit mit mir durch gemacht hatte, nur der konnte mich verstehn.“ (S. 63v) Diese Bemerkungen, hin und wieder eingestreut, deuten zudem auf die Familie als mögliche Adressaten hin, die solche Erfahrungen dadurch zumindest nach-lesen können, um das Unsagbare, das Unbegreifliche wenn nicht verstehen, so zumindest mitgeteilt zu bekommen. Zugleich mag eine Art Staunen oder Dankbarkeit dabei gewesen sein, diesen Krieg und besonders diese für Jäger so furchtbare Gefangenschaft überlebt zu haben: „Denn mir war es damals im Felde an der Front und dann in der Gefangenschaft bei den Entberungen und in dem Elend [62r] fast klar [gewesen], niemals einen der lieben wiederzusehn zu bekommen und nun solte es doch sein, nur einen kleinen Augenblick trennte uns noch. Dasselbe war ja bei denen zu hause auch der Fall.“ (S. 62vf.) So viele andere waren im Feld geblieben, Millionen junger Männer waren getötet worden, in Gefangenschaft verstorben oder wurden noch immer vermisst. Die Heimkehr nach dieser langen Zeit aus einer solch unvorstellbaren Situation wird für Robert Jäger wie auch für seine Familie zu einem besonderen Ereignis im doppelten Sinne; das fast für unmöglich gehaltene Wiedersehen gerät zugleich zu einem triumphalen Gemeinschaftsfest, an dem das ganze Dorf spontan Anteil nimmt.
Wie Ihr seht: Es gibt ein Happy-End, das sei vorweggenommen. Robert Jäger kommt heile und wenigstens körperlich unversehrt zu Hause wieder an. Ich werde morgen noch ein paar Sachen vorbereiten, Karten, Fotos und den Wehrpass. Der ist übrigens aus dem Jahr 1936, als sich sämtliche Reservisten und kriegstaugliche Veteranen registrieren lassen mussten. Da bekam auch Uropa Robert einen - und auf dem Foto trägt er ein häßliches, uns allen nur zu gut bekanntes kleines Bärtchen unter der Nase. Das hat mich im ersten Moment schon geschockt. Aber meine Oma kann zu seiner offenbar ja sehr völkischen Gesinnung nur wenig sagen. Tja.
Jetzt muss ich mich erst mal um mein Privatleben kümmern! :-)
Lukas
"Das sind nicht die Jahre, Schätzchen, das ist Materialverschleiß." Lachender Smiley
 

#7 10.11.2011, 11:13
Largo Abwesend
Mitglied

Avatar von Largo

Beiträge: 746
Dabei seit: 13.07.2008
Wohnort: -

Betreff: Re: Uropas Kriegserinnerungen
Ich sag schon mal vielen, vielen Dank fürs teilen dieser tollen Aufzeichnungen!
 

#8 10.11.2011, 12:58
Jean Royale Abwesend
Mitglied

Avatar von Jean Royale

Beiträge: 90
Dabei seit: 24.06.2011
Wohnort: -

Betreff: Re: Uropas Kriegserinnerungen
Uropa Jäger ist 1916 als Rekrut aus Köln nach Trier gekommen und hat dort eine offenbar längere und intensive Ausbildung zum MG-Schützen durchgemacht:
"In Cöln wurde uns gesagt, daß Gewehr wäre jezt unsere Braut, aber hier solte es daß Masch.[ienen-]Gewehr sein. Es gaben manche schwere Übungsstunden, denn der Januar und Februar 1917 brachten uns fiel [5v] Schnee und auch genügend Frost. Aber auch manche Unterrichtsstunde muste durch gemacht werden, denn ein jedes Teil und Schraube hatte seinen Nahmen, ebenfals musten wir wissen, wie alle Teile miteinander arbeiteten. Mit blutenden und befrorenen Händen kam man oft nach den Übungen zurück, und daß hatte den Dienst am Masch. Gewehr weit lieber als bei der Infanterie. Wie stolz war ich, als wier uns eines Sonntags mit dem M.G. Photographieren ließen, um den lieben und bekannten ein Bild zu schicken, was stellten die sich sonst vor von einem Masch. Gewehr. Dadurch bekamen auch die ein kleines Bild davon. So verging dann auch schnell der Winter und auch daß Frühjahr, und ein jeder Tag brachte dem Soldat etwas neues. Aber daß liebste von allem war mir, als ich meinen 10 Tägigen Urlaub bekam. Da konnte man nochmals die Freunde und Bekannten aufsuchen. Aber kaum war man zu hause, da dachte man auch schon wieder an den Tag der Abfahrt, weil einem solche Tage zu rasch herum gehen, und man wuste, es könnte wohl daß lezte mal sein, da man mit jedem Tage rechnen konnte, zur Front ab-gerufen zuwerden. - ."
Er wurde dann im Juni nach Galizien abkommandiert - an die Front:
"Es solte zwar nicht lange dauern, sondern über 8 Tage wurde der nächste Transport (für) nach der Ostfront angefordert, da sich keine freiwlillch meldeten, wurde vom ersten Flügel an abgezählt und da war ich dann auch mit dabei. Aber ich wuste, im Osten wäre es nicht so schlimm als an der Westfront. Nun solte nach 5 Tagen der Transport abgehen. Wir wurden feldmarschmäßig eingekleidet und es war dabei eine gute Stimmung unter uns. Am lezten Tage musten wir uns nocheinmal auf dem Kasernenhof aufstellen, denn unser Hauptmann, welcher der Kompanieführer war, hielt noch eine ernste Rede an uns, in der er u. a. uns zusagte: 'Ihr seid jezt als Maschinen-Gewehrleute ausgebildet und jezt ruft auch Euch die Pflicht an die Front, um daß Vaterland und die Heimat zu beschützen. Jezt müst Ihr gebrauch von dem machen, [8v] was Ihr die Zeit in der Garnison gelernt habt. Ihr kö[n]nt stolz sein, denn Ihr seid die Ehlietentruppe, daß ist eine größere und wichtigere Aufgabe, als die Infanterie hat u.s.w.' Die ernste[n] Worte des alten und ruhigen Kompanieführers gingen einem jeden zu Herzen und wir bekamen neuen Mut. Es war dann auch der Tag gekommen, daß er fort ging. Wier stelten uns auf dem Kasernenplatz auf, an der Spize die Musick und so ging es dem Bahnhof zu, im Herzen der Gedanke 'Auf, auf zum Kampf! Zum Kampf sind wir geboren!'"
Aber erstmal landet Robert im Feldrekruten-Depot. Doch bald stellt sich heraus, dass "der Russe" eine Offensive geplant hat und daher heißt es, ab in den Graben. Zum ersten Mal kommt er mit der Front in Kontakt und erlebt eindrücklich, was das heißt:
"Was gingen einem da nicht alle für Gedanken durch den Kopf. Man konnte sich ja kein rechtes Bild machen, wie es an der Front aussah noch zuging. Alles ging Wortlos und Geräuschlos dahin als [wie] ein Dieb in der Nacht. Es durfte auch ja kein Geräusch geben, um vom Feinde nicht gehört zuwerden. Es war auf beiden Seiten ruhig, es bedeutete die Ruhe vor dem Sturm. Denn auf beiden Seiten wurde daß mörderischste an die Front geschaft. Wir kamen mit dem Gewehr an einen Waldrand zuliegen, wo wir alls Flankendeckung dienen solte[n]. Jezt wurde es auch langsam heller da muste aber auch schon alles geordnet sein, denn es durfte nichts auffäliges für den Feind zusehen sein, sonst hatte man die nächste[n] Tage drunter zuleiden, aber man konnte sich doch mal umsehe[n] im [11v] Gelände. An den Waldrand grenzte im 70-80 m breiter Wiesengrund, demgegenüber eine kleine Anhö[h]e mit Sträuche[r]n und Birken bewachsen. Da war auch die Stellung der Russen. Unser Gewehrstand war gerade am Wiesenrande bei einer dicken Eiche. Die einziege Deckung für den Fall eines Angriffes war ein m tiefer und 6-7 m langen Graben. Aber es war alles den Tag über ruhig und man dachte im stillen, der Krieg wäre doch zum aushalten. Aber gegen Abend schossen sich beiderseit[i]g die Artielerien ein. Dann war wieder alles ruhig. Am nächsten Morgen wurde bei unsern Stand doch schon einen gefallenen Kameraden gebracht. Es wurde schnell ein kleines Grab ausgeworfen und ich solte mithelfen, Ihn hinein legen, doch es tat mir zuleid und ließ deshalb einen andern an meiner Stelle helfen. Da wurde ich von den andern etwas ausgelacht und man sagte mir, daß würde ich schon gewöhnt werden mit der Zeit."
Es war leicht herauszufinden, welche Offensive gemeint war, weil Uropa das Datum genannt hat. Es war die sogenannte "Kerenski-Offensive" vom 1.-14. Juli 1917. Es war die letzte große Offensive Russlands und hatte das Ziel, die von Revolution und Kriegsniederlagen zerrüttete russische Nation zu stabilisieren und die Mittelmächte an ihrem weiteren Vormarsch in russisches Gebiet hinein zu hindern. Damit wollte General Kerenski einen Annexionsfrieden verhindern und fairere Bedingungen für die Friedensverhandlungen schaffen. Doch schon am 8. Juli konnte Ludendorff mit eilig zusammengewürfelten Reserven die Offensive stoppen und zum Gegenangriff übergehen. Uropa tritt erstmals als MG-Schütze in Aktion - aber das erspare ich uns. Viel eindringlicher finde ich folgenden Auszug:
"So war dann die Offensive zu unseren Gunsten abgeschlagen worden. Viel[e] Gefangene hatten wir gemacht und auch sonst so manches erbeutet. Des Abends, als es dunkel war, musten drei Mann von uns auf den kleinen Berghügel gehen, wo ein Unterstand mit Masch. Gewehr Munition war, um diese zu holen. Es Grusselte einen richtig zwischen den gefallenen Russen hindurch zu gehen, aber es musste sein, so kamen wir denn bei dem Unterstande an, da hörten wir dann nur ein jammern und ein stöhnen. Ich hatte in einer Hand eine Taschenlampe, in der anderen eine [12r] schußbereite Armeepistole, welche wir als Handwaffe immer bei uns hatten. Ich leugtete [leuchtete] den Unterstand genau ab, da lagen alles voll von schwer verwundeten Russen, welche die Sanitäter dahin gelegt hatten. Hätte nun einer eine auffällige Bewegung gemacht, so hätte ich den Abzug gezogen und die Kugel wäre sicher nicht fehl gegangen. In dieser Zeit trugen die beiden anderen die Monition vor den Unterstand, so gingen wir dann mit der Ladung zu unserem Gewehrstande. Da kam der Morgen und man konnte sich mal umsehen. Doch auf jenem Berg sah man kaum noch einen Baum oder Strauch, sondern alles war von den Granaten und Mienen follständig umgewühlt. Die folgende[n] Tage blieb es auch ruhig. Am 6.-7. [Juli] die Nacht wurden wir dann auch abgelöst. Doch hatte eine schwere Granate hinten im Ruhelager eingeschlagen und 2 Mann von den Zurückgebliebenen getötet. So blieben wir dann einige Tage im Waldlager. In der Zeit hatten die Russen ihre Stellung aufgegeben und am 20. Juni [Juli] musten wir von Bretschanỳ den Vormarsch antreten und verfolgten so die Russen bis zum 25."
Ich fühle mich immer wieder beklemmt, wenn ich das lese. Dieser Krieg muss furchtbar gewesen sein, und ich bin heilfroh, heute und hier zu leben - und heilfroh, dass Uropa das alles überlebt hat. Bei all den militärgeschichtlichen Büchern über den WK I gehen solche Dinge häufig in reinen Zahlenangaben unter, umso direkter hat mich hier diese handschriftliche Erinnerung gepackt, denn durch die Abstraktionen in der Aufarbeitung des historischen Materials geht leider nur allzuoft unter, dass all die Millionen Toten Menschen waren, Kinder von Eltern, die viel Energie und auch Liebe investiert haben, um sie groß zu ziehen. Und dann steht mein Uropa ihnen anonym gegenüber - in solch einer grauenhaften Situation ...

Aber noch etwas zum Text selber: Die Schrift ist messerscharf, wie genormt. Hin und wieder sieht man richtig, wie die Tinte der Feder nachläßt und er sie wieder eintaucht, um dann weiter zu schreiben. Sprachlich ist es auch interessant, denn Uropa steht ein zwar begrenztes, aber von ihm ziemlich geschickt eingesetztes Arsenal an Formulierungen und Satzstrukturen zur Verfügung. Ich schließe daraus, dass er trotz seiner relativ kurzen Schulzeit eine strenge und intensive "Schulung" im wahrsten Sinne des Wortes gehabt hat. Da stand neben Schönschrift auch ganz klar der Aufsatz ganz oben auf der Liste. Ironischerweise blieb ausgerechnet die Rechtschreibung auf der Strecke - das liegt aber auch an der noch während seiner Schulzeit (1901/02) erstmals durchgeführten Rechtschreibreform. Was ich bei meinen Studenten und Kollegen hier und da auch heute beobachte, spiegelt sich in Uropas Text überdeutlich wieder: Ein Gemisch aus alt und neu, zwar in vielen Punkten einheitlich (z.B. stets dass und das mit ß), aber auch nach damaligen Regeln schlicht falsch bzw. veraltet. Er hat die alten Regeln gelernt und musste dann auf die neuen umschalten, was nicht jedem gleichermaßen einfach fällt, besonders, wenn man sonst im Alltag eigentlich nichts mit schriftlichen Tätigkeiten am Hut hat.
Lukas
"Das sind nicht die Jahre, Schätzchen, das ist Materialverschleiß." Lachender Smiley
 

#9 10.11.2011, 13:04
Jean Royale Abwesend
Mitglied

Avatar von Jean Royale

Beiträge: 90
Dabei seit: 24.06.2011
Wohnort: -

Betreff: Re: Uropas Kriegserinnerungen
So, hier noch zwei Dokumente, sein Wehrpass von 1936 und der Entlassungsschein aus dem DuLag Gießen 1920. Falls jemand an Druckqualität Interesse hat, bitte PN an mich. Der Wehrpass dürfte für Prop-Zwecke ganz gut zu bearbeiten sein.

Miniaturansichten angehängter Bilder:
Wehrpass Erste Seite.jpg
Dateityp: Dateityp-Informationen zu: jpg jpg
Downloads: 1060
Dateigröße: 231,98 KB
Bildgröße: 567 x 387 Pixel
Entlassungsschein Gießen.jpg
Dateityp: Dateityp-Informationen zu: jpg jpg
Downloads: 373
Dateigröße: 295,71 KB
Bildgröße: 454 x 524 Pixel


Lukas
"Das sind nicht die Jahre, Schätzchen, das ist Materialverschleiß." Lachender Smiley
 

#10 10.11.2011, 13:50
The German Abwesend
Moderator

Beiträge: 1.374
Dabei seit: 27.12.2004
Wohnort: Hannover

Betreff: Re: Uropas Kriegserinnerungen
Eine sehr schöne Arbeit die du uns da zeigst. Ja, es ist selten, daß besonders aus dem 1. WK solche Erinnerungen vom gemeinen Soldaten zu finden sind. Ich freue mich schon auf die weitere Lektüre dieser in meinen Augen wichtigen Geschichte.
Über den Bart muß man sich aber keine gedanken machen. Er tauchte schon vor Hitlers Machtergreifung als modische Erscheinung auf. Durch Hitler wurde er nur bekannter in der Welt. :-)
Daraus lässt sich jedoch keine völkische Gesinnung lesen. Denn auch die Ausweise waren Pflicht. Da er im Kaiserreich aufwuchs ist natürlich die Obrigkeitshingezogenheit ( ich nutze bewußt nicht den Begriff der Hörigkeit!) anerzogen bekam hat er sich sicher wie die meisten auch damit arangiert ohne arges zu wollen. Damals war der Begriff nationalistisch zu sein nicht so verwerflich wie heute in unserem Lande. Das nationale Dazustehen wird uns von den Amerikanern, Briten, Franzosen, Thailändern, Skandinaviern auf unterschiedlichste Art vorgelebt. Nur der deutsche hat in der Regel probleme damit in diese Schublade gesteckt zu werden aus geschichtlichen Schuldgefühlen heraus.
Daher handelte er für seine Zeit völlig normal. Daß er dem Krieg welcher mit keinem vorher zu vergleichen war so gegenüberstand wie er es tat zeugt doch auch von der zeit in der er lebte.
Fühle welches Lied in dir spielt.
 

#11 10.11.2011, 14:12
Jean Royale Abwesend
Mitglied

Avatar von Jean Royale

Beiträge: 90
Dabei seit: 24.06.2011
Wohnort: -

Betreff: Re: Uropas Kriegserinnerungen
Gut, das ist eine sinnige Erklärung, danke! Ich bin auch insgesamt etwas erstaunt gewesen, was seine Einstellung zum Krieg angeht, da merkt man, dass wir in einer deutlich pazifistisch geprägten Gesellschaft leben. Ähnlich wie Otto Dix hat Uropa Jäger den Krieg einfach als Krieg wahrgenommen, als eine Art natürlichen Zustand, der zwar brutal und lebensbedrohlich ist, aber der einfach da ist. Entweder es herrscht Frieden oder Krieg, und beides ist nichts ungewöhnliches. In diesen Momenten muss der Mann dann treu seine Pflicht erfüllen, egal, ob er es gerne tut. Nach Ursachen oder kritischer Hinterfragung der Gründe für den Krieg wird dabei nicht gesucht, gleichzeitig wird aber auch nichts glorifiziert oder verbrämt und auch nicht abgelehnt - eine für mich eigenartige Melange. Edit: passt aber zur Obrigkeitsbezogenheit. Eine von vielen historischen Mentalitäten, die für sich steht und die ich erst mal verstehen musste. Der leicht kritisch wirkende Anfang zeigt aber vielleicht auch, dass Uropa so etwas wahrscheinlich trotz allem nicht gerne noch mal erleben wollte. Vielleicht irre ich mich, aber im Moment bin ich erst mal bei diesen Konklusionen angekommen.
Lukas
"Das sind nicht die Jahre, Schätzchen, das ist Materialverschleiß." Lachender Smiley
Dieser Beitrag wurde 1 mal editiert, das letzte Mal am 10.11.2011, 14:14 von Jean Royale.  

#12 10.11.2011, 14:33
Jean Royale Abwesend
Mitglied

Avatar von Jean Royale

Beiträge: 90
Dabei seit: 24.06.2011
Wohnort: -

Betreff: Re: Uropas Kriegserinnerungen
Zur räumlichen Veranschaulichung noch zwei Karten. Uropa hat die Städtenamen nicht immer korrekt geschrieben, daher musste ich auch im Heeresbericht oftmals nachlesen, wohin die überhaupt marschiert sind. Lemberg war damals Österreichisch-Galizien und ist bis heute eine wichtige Universitäts- und Garnisonsstadt. Der aktuelle Ukrainische Name lautet Lviv. Auf der Europakarte werden die Dimensionen vielleicht deutlich, was die Marschleistung durch die Steppen der Gegend angeht, wobei die 100 km Luftlinie auf dem Boden deutlich mehr gewesen sein dürften.

Miniaturansichten angehängter Bilder:
Europa.jpg
Dateityp: Dateityp-Informationen zu: jpg jpg
Downloads: 271
Dateigröße: 231,01 KB
Bildgröße: 510 x 472 Pixel
Karte von Ostgalizien.jpg
Dateityp: Dateityp-Informationen zu: jpg jpg
Downloads: 376
Dateigröße: 438,46 KB
Bildgröße: 605 x 907 Pixel


Lukas
"Das sind nicht die Jahre, Schätzchen, das ist Materialverschleiß." Lachender Smiley
 

#13 11.11.2011, 15:41
Jean Royale Abwesend
Mitglied

Avatar von Jean Royale

Beiträge: 90
Dabei seit: 24.06.2011
Wohnort: -

Betreff: Re: Uropas Kriegserinnerungen
Nachdem die russische Offensive abgeschlagen wurde, zieht der Feind sich zurück und das Österreichisch-Deutsche Heer (inklusive einem Battalion "Türcken") stößt nach. Das heißt: Marschieren. Es geht durch endlose Steppe, die Dörfer niedergebrannt, die Brunnen vergiftet, die Ernte vernichtet. Ich stelle mir das im Sommer schrecklich vor, und auch Uropa war nicht erbaut über diese Phase. Dann aber hat er ein spannendes Erlebnis, das auch in seiner einfachen, unprätentiösen Darstellung nicht einer gewissen Absurdität entbehrt:

"Als wir am 25. Juli in einem Dorf halt machten, musten wir noch mal alle unsere Sachen in Ordnung machen, ebe[n]so die Handwaffen reinigen, dabei hatte noch einer daß Unglück, daß er sich mit der Pistole durch die Hand schoß, es war einen schönen Heimatschuß für Ihn. Nach dem reinigen musten wir uns auserhalb des dorfes aufstellen und die Ganze Division wurde hirhin gesamme[lt] und nahm auch aufstellung, so standen wir da und warteten und keiner wuste, weshalb. Dann wurde gemunkelt, der Kaiser käm[e]. Ich wunderte mich, da des Morgens um 8 Uhr das Dorf von den Russen geräumt wurde und jezt sollte schon der Kaiser kommen. Doch richtig, als wir eine zeitlang da standen, kamen 5-6 Autos angefahren und der Kaiser und Hindenburg und der ganze Stab stieg[en] aus. Wir waren im Qu[a]drat aufgestellt, dann wurde eine jede Frontseite abmarschiert und der Kaiser grüßte mit eine[m] 'Gutentag, Kammeraden.' Dann noch einige Dankesworte für das tapfere durchhalten bei der Offensive und beim Vormarsch. In der Mitte war ein kleiner Tisch aufgestellt, hier wurde die E.K. verteilt. Auch der Unterof.[fizier] unserer Kompanie bekam vom [13r] Kaiser eigenhändig das Eiserne Kreuz I. Klasse angehängt. So freute es uns sehr, so den Kaiser zu sehen und zuhören. Aber der Himmel hatte sich in der Zeit stark stark bewölkt, denn ein schweres Gewitter war im anzuge. Schon fing es so langsam an zuregnen und der Kaiser mit seinem Gefolge begrüßten uns kurz und stiegen in Ihre Autos und verschwanden vor unseren Augen. Doch unsere Aufgabe war wieder, die Russen zuverfolgen, doch der Regen ging in furgbaren [furchtbaren] strömen nieder. Wir waren durch [und durch] naß und daß Wasser lief einem vom Puckel herunter, ich glaube, ich hatte die Stiefel halbvoll mit Wasser. Aber unser Marsch ging immer weiter und wir wurden wieder naß und dann wieder trocken."

Tja. Und weg war der Kaiser. Die russischen Streitkräfte verschanzen sich bei Husjatyn in ihren alten Grenzbefestigungen, so dass der Krieg wieder zum Grabenkampf erstarrt. Bis Mitte Oktober geht es hin und her - und her und hin; dann hat mein Uropa die Nase voll:

"[...] aber der Dienst konnte mir doch jezt nicht so recht gefallen, denn ich dachte wir wären in Ruhe und da wollte ich auch gern Ruhe haben, und ich dachte mich krank zumelden. Am nächsten Tage meldete ich mich zum Arzt. Doch den Grund muste ich mir noch überlegen. Als ich nun beim Arzt war, klagte ich über Mattigkeit und dergleichen, ich wurde gründlich untersucht (untersucht) und muste 14 Tage im Rewier [Revier] bleiben."

Ich dachte, ich les nicht richtig! Zwinkernder Smiley Na, so geht es jedenfalls weiter; die Kompanie muss an die Front, aber der Arzt will Robert Jäger im Lager behalten. Der hat mittlerweile ein schlechtes Gewissen : "[...] denn wenn es hieß[: „]an die Front[“] drückte ich mich nicht, sondern tat mit aller Freude und Lust meine Pflicht." Hilft ihm aber nichts, er wird ins Feldlazarett verlegt und weiß gar nicht so recht, was da mit ihm geschieht. Aber so ganz unrecht ist es ihm dann auch wieder nicht, immerhin muss er dann nicht (wie in Husjatyn) eine Woche im Graben unter Beschuss nur von weißen Bohnen leben. Im Feldlazarett geht der Schwank dann so weiter:

"Sofort wurde dem Arzt der Zugang gemeldet und nach einer kurzen Zeit kam ein Unterarzt und machte eine kleine Untersuchung. Der erste war Magenkrank und kam auf die Station für die Ruhrkranken, der zweite war im Kopf nicht so ganz richtig; dieser kam auf einen ganz ruhigen Ort, um sich zu erholen. Dann kam die Reihe an mich, kurz überblickte der Arzt die Krankenpapier und stelte noch einige Fragen und horchte meine Brust ab, dann sagte er, am anderen Morgen würde ich noch gründlich untersucht. Ich bekam dann ein gutes Lager für die Nacht angewiesen und konnte mich dann auch gut ausruhen. Am anderen Morgen gegen 10 Uhr kam der Unterarzt, begleitet von ei-nem Oberstabsarzt und einem Stabsarzt mit den Krankenpapieren in den Händen auf mich zu. Ich dachte, daß scheint aber heiter zu werden und dacht, die würden mich schon schnell wieder gesund geschrieben haben. Jezt nahm der Oberstabsarzt die Untersuchung vor und dann der Stabsarzt; nun unterhielten sich die drei eine kurze Weile und [16r] der Oberstabsarzt klopfte mir auf die Schulter und sagte mir auch[:] „Sie müssen noch eine Zeitlang ruhe haben, nach drei Tagen geht ein Krankenzug ab zum Kriegslazarett, da können Sie auch mit fahren.[“] Ich dachte im stillen, daß Glück scheint am Mann zusuchen."

In der Tat. Es geht nach Stanislau ins richtige Lazarett, das Robert Jäger zwar gut gefällt, doch ganz so recht kann er sich mit dem "irgendwie krank sein" nicht anfreunden:

"Hier konnte man sich noch mal richtig baden, bekam frische Wäsche an, die Haare geschnitten, und man sah noch mal frisch aus und man fühlte sich dabei noch mal ganz wohl. Es war ein schönes großes Zimmer, welches uns aufnahm. Daß ganze Haus war eine frühre Östereichische höhre Schule, noch konnten wir uns in den Schränken alte Zeichnungen und Hefte und Bücher hervor holen, um [17v] durch zu stöbern und dieses machte uns wegen der Langeweile auch rechtes Vergnügen. Noch am selben Abend wurde von dem Stabsarzt, welcher das Lazarett zum behandeln hatte, eine Aufnahmeuntersuchung gemacht. Auch meine kranken Papiere wurden von Ihm durchgelesen und darauf untersucht, aber sein Resultat war mir jezt nicht so ganz behaglich, seinen Ausdrücken nach wäre ich bis in 8 Tagen wohl wieder hergestellt und für die Zeit verordnete er, ständig im Bett zu bleiben. Ich dachte auch bei mir, bei dem würde ich nicht alt im Lazarett, sonder[n] wieder schnell zur Front geschickt, aber wegen [ein] paar Tage[n zur Erholung] soweit zurück [d.h. hinter der Front zu sein], daß konnte mir auch nicht gut gefallen."

Aber es kommt noch besser: "So vergingen 5-6 Tage und es wurde uns gesagt, der Stabsarzt würde durch einen Andern abgelöst, dieser kam dann auch so. So wunderte es mich jezt [d.h. fragte ich mich], was der neue für eine Botschaft bringen würde. Noch am selben Tage, als er ankam, machte er bei einem jeden eine Untersuchung, doch dieser stand anders zu meinem Empfinden. Ich wurde auf ein Nervöses herzklopfen behandelt. Ich spürte ja selbst ein schnelles Herzklopfen, so hatte ich bei einer kleinen Aufregung im Bett liegend bis 120 Pulsschläge in der Minute, obwohl ich mich sonst ganz wohl und gesund [17r] fühlte. Ich bekam nach den Verordnungen von Zeit zu Zeit einen Eisbeutel auf die Herzseite gelegt, dann stellte der Arzt auch Blutarmut fest und [ich] bekam dafür Eisentinktur und Eisenzucker zum einnehmen."

So bleibt er bis Weihnachten im Lazarett und wird dann L.Z. geschrieben - "Lazarett-Zug", d.h. er durfte mit dem Zug in die Heimat fahren; zwar nicht nach Hause, aber immerhin nach Deutschland zurück. Auf dem Weg zum Bahnhof macht Robert Jäger noch eine interessante Beobachtung:

"Es war in der Zeit in Galiezien sehr kalt und doch konnte man bei dem Frost sehen, wie die Kinder und Frauen baarfuß herum liefen, dieses kannte man aber in der Gegend nicht anders. So konnte ich auch einestages, als ich noch hinter der Front in Ruhestellung war, sehen, wie die Frauen des Sonntags baarfuß mit langen Stiefeln unter den Armen bis zur Kirche gingen, [diese] auf dem Kirchplatz anzogen und dann hinein, nach dem Gottesdienst wurden sie wieder vor der Kirche ausgezogen und es ging wieder baarfuß dem Dorfe zu, welche hier ja noch zumteil bewohnt waren. "

Im Bestimmungsort des Zuges wird die Diagnose bestätigt:

"Es war der 23. Dezember 1917 abends 9 Uhr, als der Zug in Berlin-Buch einlief. Noch einen kleinen Weg von 2-300 m und wir kamen in gut gepflegte und auf uns wartende Zimmer. Es war ein lieber Empfang und die Schwestern und Wärter eilten hin und her, um schnell daß warme Essen aufzutragen. Dann suchte jeder sein Bett auf und verkroch sich unter der warmen Decke. Auch an dem selben Abend machte der Stationsarzt noch einen kurzen Besuch an jedem Bett, doch die Hauptuntersuchung war am nächsten Morgen durch einen Profesor und einen Unterarzt. Ich wurde auch ins Bett verurteilt."

Mehr zu den Erlebnissen in der Heimat werde ich wohl erst nach dem Wochenende posten können. Da gibt's noch einige interessante Sachen!
Lukas
"Das sind nicht die Jahre, Schätzchen, das ist Materialverschleiß." Lachender Smiley
 

#14 11.11.2011, 16:25
Internaut Abwesend
Mitglied

Avatar von Internaut

Beiträge: 1.760
Dabei seit: 27.01.2011
Wohnort: Guadix

Betreff: Re: Uropas Kriegserinnerungen
Eine Bedeutungsvolle Geschichte, habe den Beitrag erst jetzt gesehen. Bemerkenswert auch, weil mit vielen interessanten Verweise und Parallelen zu Erzählungen die mir mein Großvater mütterlicherseits hinterlassen hat! ... Vielen Dank für das Zeigen ...
Jose Ortega Godoy
Kunst Rund um die Indiana Jones Saga
http://internautjones.de/
 

#15 11.11.2011, 16:48
Christiana Jones Abwesend
Mitglied

Avatar von Christiana Jones

Beiträge: 66
Dabei seit: 29.07.2011
Wohnort: Bassum

Betreff: Re: Uropas Kriegserinnerungen
Auch von mir ein "vielen Dank". eine sehr interessante Geschichte. Man merkt, wie viel dir diese Sache bedeutet.
Christian Rasche
"Reichtum und Ruhm, Shorty! Reichtum und Ruhm!"
 

#16 12.11.2011, 11:43
Jean Royale Abwesend
Mitglied

Avatar von Jean Royale

Beiträge: 90
Dabei seit: 24.06.2011
Wohnort: -

Betreff: Re: Uropas Kriegserinnerungen
So, zwischendurch noch ein paar weitere Anekdoten. Mich hat die Geschichte tatsächlich gepackt, denn es ist ziemlich selten, auf solch ein geschlossenes Werk zu stoßen ... das ist wie der Fund von etwa - na ja, einer Bundeslade oder so. Zwinkernder Smiley Und es ist und bleibt ja mein Uropa, der das alles erlebt hat, mir jedoch völlig fremd ist, weil ich ihn nur noch als Kind kennengelernt habe, aber so gar keine Beziehung zu ihm hatte. Sehr strange, das alles.

Im Lazarett geht es Robert Jäger ganz gut, nur wird es schnell langweilig (denn so richtig krank ist er ja auch wieder nicht - oder doch? Hm.) und daher macht er sich nützlich:

"Nach 14 Tage war mir doch daß legen im Bette leid und sofort nach der Visitte stand ich auf und tat dem Wärter schon kleine Handdienste. Doch ich fühlte mich auch körperlich sehr schwach und tat es nur ohne Wissen des Arztes, aber es machte mit Freude für die, welche sich gar nicht bewegen durften und konnten, etwas behilflich zu sein. Durch diese Bewegung bekam man auch die Kräfte wieder solangsam zurück. So verging dann ein Tag nach dem andern und die Zeit vertrieb man sich viel durch lesen und schreiben. Dann bekam ich auch vom Arzt die Erlaubnis, etwas aufzustehen. Nun konnte ich mal recht denen, die Hilfe bedürftig waren, auf [19r] unserem Zimmer behilflich sein. Auch bei dem Wärter, welcher sosehr mit Arbeit belastet war, war dieses gut angebracht. Auch fand ich schnell bei den Schwestern durch mein williges Arbeiten ein gutes ansehen. Aber aus diesem Grunde hatte ich keinen Trieb zur Arbeit an den kranken, sondern mein Herz schlug für die Mittbrüder, mitt denen man doch Freud und Leid [hat] teilen und tragen müssen. Aber es solte doch nicht lange dauern, da stelte mir die Schwester, welche die Stationsküche hatte, die Frage, ob ich Ihr in der Küche helfen wolte, daß Essen verteilen; auch dieser Forderung folgte ich und sagte ja dazu. Sofort holte sich die Schwester Erlaubnis vom Arzt und am anderen Tage half ich Ihr schon in der Küche. Wie ich schon vorher erwähnte, war der ganze Ort Buch als Lazarett eingerichtet und in einer großen Hauptküche wurde für alle 12-15 Lazarette gekocht und [das Essen] durch ein bestimmtes Kommando [abgeholt und] zu den einzelnen Stationen gebracht. Da muste ich dann helfen, es den einzelnen Kranken verteilen. Es war im anfang [de]s Jahres 1918, woh überall die Lebensmittel knapp waren, so war auch hier schmalhans Küchenmeister und man hörte oft murren [20v] und klagen. Aber man konnte nicht mehr geben als da war, so wurden die letzten Reste aufgezehrt. Es wurde mir und meinem Kameraden, welcher auch mit in der Küche war, [erlaubt,] uns richtig satt zu essen, weil wir ja arbeiten musten."

Er sitzt also an der Quelle und ist gut versorgt, vor allem auch deshalb, weil er von zu Hause häufig "Fresspakete" bekommt:

"Aber meine Lieben in der Heimat versäumten es auch nicht, mir regelmäßig mein Paket zuschicken. So muste ich oft denken, es wäre der liebe zuviel. Auch in den späteren Jahren muste ich in dankbarer weise an die mir erwiesene Liebe zurück denken. Oft hatt mich ein Paket in recht hungrigen Zustande angetroffen und [ich] wurde dann wieder sorecht aufgefrischt. So denke ich noch gerade an die Zeit an der Front, als mal der Hunger sorecht groß war und gerade ein Pferd unserer Kompani[e] krank war und am Boden lag, in den lezten zügen noch durch eine Kugel in den Kopf geschossen wurde und so zum verenden gebracht wurde. Wir vielen sofort als [wie] die hungrigen Wölfe drüber her und jeder schnitt sich ein passendes Stück ab. Jezt wolten wir [es] uns zu zwei Mann im Kochgeschirr voll [wohl] ab kochen, an braten konnte man nicht denken. Nun wurde auch in dem augenblick Post verteilt und für mich [20r] war ein Paketchen von meinen Lieben aus der Heimat dabei, schnell öffnete ich es und es war Butter drin. Ich glaube heute noch, daß mir aus dankbarkeit die Tränen des [die] Backe runter gelaufen sind. Nun gab es nicht nur Pferdefleisch, sondern Pferdebraten."

Es ist berührend, solche Passagen zu lesen, denn mein Uropa war ein anscheinend sehr ehrlicher, einfacher Mann, der seine Pflicht erfüllte und auch als Soldat noch stets versuchte, seine Christenpflichten einzuhalten. Wie er dies mit dem Krieg vereinbaren konnte, ist mir persönlich zwar nicht begreiflich, aber das liegt an den veränderten Zeiten. Für ihn war beides miteinander vereinbar; er sah darin keinen Widerspruch. So anders können Vorstellungen und Überzeugungen sein, und ich werde mich hüten, das zu verurteilen. Er war ein Kind seiner Zeit und hat entsprechend gehandelt und gedacht, so wie wir es heute hier für uns tun. Ich war auch zutiefst beeindruckt von folgender Episode:

"Aber hier in der Küche im Lazarett war ich nicht auf die Pakete angewiesen. So war es mir eine besonders große Freude, die Pakete, die für mich ankamen, meinem Bettnebenmann zu schenken. Es war schon ein älterer Mann, seine familie lebte in dresten [Dresden] in ärmlicher Verhältnissen, auch war seine Frau immer leident. So war es für mich die größte Freude, wenn wir zusammen meine Pakete öffnetten, dann wieder frisch einpacken und seiner Familie zuschicken konnten. Auch für Ihn sorgte ich von meinem Essen, so viel er brauchen konnte. Er war von Beruf Anstreicher und Maler und hatte dadurch auch Bleivergiftung im Magen. Es ist eine böse und zerende Krankheit, aber ich darf sagen, ich habe Ihm gut die Zeit durchgeholfen, seine oft strahlende[n] Augen bezeugten mir seine Dankbarkeit."

Und dann kommt Post von zu Hause: "So kam dann plötzlich ein Urlaubsgesuch an. [21v] Frau Rau [in] Heischeid, bei der ich ja vor meiner Soldatenzeit arbeitete, hatte plötzlich einen Unfall gehabt. Da erkundigt[e] sich Bürgermeister Schüle aus Denklingen, mit dem sie einen intimen Verkehr hatten, nach meiner Adresse, und machte ein Urlaubsgesuch. Das Krankenhaus bewilligte 14 Tage Urlaub. Ich konnte also sofort meinen ausweiß abholen und abfahren."

Vitamin B war damals schon ausschlaggebend, wenn man auf dem Land was werden wollte ... Grinsender Smiley Und Uropa - auch wenn er das hier nicht schreibt - missbilligte solche "Beziehungen", denn er selber bliebt offenbar "sauber", obwohl seit Unzeiten gerade der Kommiss nicht unbedingt als Knabengesangsverein bekannt ist. Als er vom Urlaub zurückkommt, geschieht ihm folgendes:

"Ich kam Abends um 10 Uhr am Leerter Bahnhof an, ging zum Fahrplan an der Wand, um mich zu orientieren, wann der nächste Vorortzug abfuhr, da kam eine junge Dame auf mich zu und sprach mich an, ich wolte doch noch nicht weiterfahren, es wäre noch so früh. Ich ließ mich aber nicht bereden, sondern gab Ihr die rechte Antwort. Vieleigt hatte Sie Freude an meinen Paketen oder sonst böse absichten. Denn die Großstädte waren schlecht."

Warum schreibt er diese kleine Anekdote auf? Wenn er mitgegangen wäre - niemand hätte je was erfahren, wenn er es nicht gerade aufgeschrieben hätte. Aber Robert Jäger thematisiert die Privatprostitution indirekt (so sicher ist er sich dahingehend wohl auch nicht) und verurteilt sie mit einem Rundumschlag gegen "die Großstädte". Daher glaube ich, dass es echte Empörung ist, denn kurz darauf passiert im Krankenhaus folgendes:

"Als ich dann in der Küche war und einen Augenblick mit der Schwester allein war, erzählte Sie mir, das[s] der andere, welcher auch mit in der Küche half, nicht ehrlig war. Während mens [meines] Urlaub[s] hatte man Ihn bemerkt, als er Stadt Urlaub hatte, wie er 5-6 Brode mit in die Stadt schleppen wolte. Er war nähmlig ein Berliner. Er wurde nun noch an dem selben Tage entlassen. Nun ging es hier auch seinen alten alten gang weiter. Aber auch die Schwestern waren nicht alle ehrlig. So wurde bei der Nachtschwester festgestelt, daß diese Ihrem lieblings Soldat, ein[em] Feldwebel, des Nachts Kartoffel [22r] schnorte [klaute] und sonst gutes vertigmachte; dieser lag auf einem Zimmer, da ließ sich schon was machen und doch schlug es fehl. Bisher hatte diese des Nachts den Schlüssel der Küche, doch von jezt ab nicht mehr und ich bekam ihn von der Oberschwester in verwahr. Auch da gab es ein anders [änderte es sich] mit der Liebelei [der beiden]."

So, im Februar 1918 wird er entlassen und erlebt noch ein paar Dinge in Berlin. Aber davon später.
Lukas
"Das sind nicht die Jahre, Schätzchen, das ist Materialverschleiß." Lachender Smiley
 

#17 14.11.2011, 14:00
Jean Royale Abwesend
Mitglied

Avatar von Jean Royale

Beiträge: 90
Dabei seit: 24.06.2011
Wohnort: -

Betreff: Re: Uropas Kriegserinnerungen
So, es ist geschafft! Ich habe Uropas Erinnerungen die ihnen gebührende Form übers Wochenende geben können (Frau war weg, Wein war da ... und etwas ZEIT!). Ich bin ein bißchen Stolz auf das, was mir da gelungen ist und finde, dass diese Form so gut zum Inhalt passt.

Zuerst habe ich den gesamten Text nochmals im Zuge der Postings hier übergelesen und dann layoutet. Dabei war mir wichtig, dass die Optik nicht banal historisierend, aber auch nicht bloß modern wirkt. Das fing bei der Wahl der Schriftart schon an; Times NR geht ja mal gar nicht für so was und Arial verwende ich schon prinzipiell nicht mehr - einfach, weil sie auch für längere Texte nicht so richtig was taugt, finde ich. Es sollte eine schöne, klare und elegant-unauffällige Serife sein, und da bin ich auf die grandiose Palatino Linotype gestoßen, die sich einfach anbot und dem Text eine wunderschöne Buchoptik verleiht. Für die Überschriften bin ich stöbern gegangen, hat mir alles nicht gefallen und daher habe ich als Kompromiss die Trebuchet genommen, die passt auch ganz gut zur Palatino. Unten habe ich ein kleines Beispiel angehängt.

Das Buchformat machte mir etwas Kopfzerbrechen, denn so recht konnte ich mich mit DinA5 nicht anfreunden, aber das war ja das Original-Format der Aufzeichnungen. Schließlich beschloss ich, ein A6 großes Taschenbuch zu gestalten, Schriftgröße 9 p Fließtext, 12 p Überschriften. Das sind ungefähr die Größen, die z.B. auch bei Kohlhammer oder UTB üblich sind. Auch bedeutete das Format A6, dass ich den Textkörper auf DinA4 ausdrucken und dann in zwei Teile schneiden konnte, so dass die Laufrichtung des Papiers korrekt ist. Beim Papier entschied ich mich für ein matt bräunliches Umweltschutzpapier, das zudem durch seine 75 g/qm etwas dünner und leichter ausfällt. Der Braunton verleiht dem ganzen einen etwas altmodischeren Look.

Den Text habe ich dann in Word gesetzt und nach meinem schon mal geposteten Reihenfolge-Muster ausgedruckt. Dann ging's los! Unten sind ein paar Bilder angehängt mit den ersten Schritten. 1-3: Da ich keine Schneidemaschine habe, auf die ich mich verlassen kann, hab ich die Seiten manuell zerschnitten. 4: Anschließend wird jede Seite gefalzt und die Lagen korrekt ineinander gesteckt. Dann (5) ist der Buchblock lose fertig, die Reihenfolge muss aber nochmals kontrolliert werden - in den Druckereien machen die das mit aufgedruckten Balken, die korrekt liegen müssen. Geht hier nicht. Stimmte aber alles, daher habe ich die Lagen erst mal in der Presse (6) gelagert, damit sich die Falz einprägt und alles schön flach wird. Als nächstes (7 und Unschuldiger Smiley kam meine Lade wieder zum Einsatz. Die Lagen werden gelocht und danach (9 und 10) zusammengenäht. Zur Stabilisierung des Blocks habe ich zwei Gewebebänder eingenäht. Kann man (11) hier ganz gut erkennen. Fertig ist der grobe Buchblock - nun kommt er in die "Bindemaschine", die mein Vater mal in den 1970ern für seine Kopien gebaut hat. Damit hat er die DinA4-Konvolute mit Klebebindungen versehen - ich nutze das Ding jetzt auch für das Leimen. Zuerst einlegen (12), dann den Balken drauf (13) und das Ganze umdrehen. Nun schaut der Rücken heraus (14) und wird in mehreren Schritten mit Buchbindeleim bestrichen (15). Der braucht etwas Zeit zum Trocknen, daher habe ich aus Gaze noch einen Streifen zurechtgeschnitten und auf den Rücken gelegt (dient dazu, den Block später fester mit dem Deckel zu verbinden). In der Trockenphase habe ich den Buchdeckel aus Pappe zurecht geschnitten (16).

Wichtig ist der Stoff, der den Buchdeckel umschließt. Darauf kam es mir besonders an, deshalb habe ich lange gesucht. Und in unserem lokalen Fachhandel gab es diesen einen, tollen Wollstoff in Feldgrau mit einem roten Streifen! (17) Ich habe den gleich mitgenommen. Der Wollstoff ist etwas dicker, saugt sehr stark und ist im feinen Detail schwierig zu verarbeiten, weil er relativ grob gewebt ist. Zuerst habe ich die geplanten Deckel aufgelegt, den Umriss in der korrekten Größe eingezeichnet (18 und 19) und dann ausgeschnitten. Nun wurde es schwierig, denn der Stoff war nicht einfach zu kleben! Nahm ich genug Leim, kam er durch und verursachte Flecken auf der Außenseite. Nahm ich wenig, löste er sich wieder. Ich bin fast wahnsinnig geworden! Schließlich war es dann doch ganz einfach - aber man muss erstmal drauf kommen: Leim auftragen, kurz antrocknen lassen und DANN erst auf den Stoff. Der Leim wird beim Trocknen erst richtig klebrig und zäh, zieht also nicht tief ein, pappt aber bombenfest. Puh! Mit viel Druck habe ich so die Pappe auf den Stoff bekommen (22). Knifflig war es, den überstehenden Rand umzuschlagen und festzuleimen; der störrische Stoff klappte stets zurück. Hat aber funktioniert! Daraufhin hab ich mir ein Glas Wein gegönnt, wie man sieht. Zwinkernder Smiley

Für das Vorsatzpapier habe ich 120 g/qm Zeichenkarton verwendet, weil ich etwas spezielles vorhatte. Hinten im Buch sollte eine Tasche sein, in der Props untergebracht sind - farbkopien der Dokumente, des Ausweises und Kartenmaterial. Dazu habe ich zuerst die Seitenteile der Tasche entworfen, im Rechner millimetergenau geplant und dann gedruckt (25). Kann man schlecht sehen hier auf dem Bild. Ausgeschnitten und gefalzt sehen sie so aus (26). Dazu kommt (27) der Rest - und dann ist die "Froschtasche" (ich glaub, so nennt man die Dinger) fertig (28). Nun musste das Buch zusammengefügt werden (29). Nicht zu viel Leim drauf! (30) Dann feste drücken - damit der Leim nicht seitwärts rausquillt und die Seiten verklebt, lege ich immer ein Wachspapier oder Backpapier dazwischen. Fast fertig (32)! Fehlt noch die Tasche, die hinten eingeleimt wird (34). Als letztes schreibe ich mit einer einfachen Schablone den Titel darauf. Ich benutze hin und wieder auch einen Drucksatz dazu, aber wie gesagt - dieser Wollstoff braucht eine andere Umgangsart!

Und fertig. Ich glaube, das ist durchaus eine angemessene Form für Uropas Erinnerungen. Ich werde davon noch ein paar Exemplare basteln, die gibt es dann für die Familie zu Weihnachten.

Miniaturansichten angehängter Bilder:
Schriftbeispiel.jpg
Dateityp: Dateityp-Informationen zu: jpg jpg
Downloads: 291
Dateigröße: 36,63 KB
Bildgröße: 418 x 251 Pixel
Schritte 1-4.jpg
Dateityp: Dateityp-Informationen zu: jpg jpg
Downloads: 284
Dateigröße: 329,66 KB
Bildgröße: 740 x 567 Pixel
Schritte 5-10.jpg
Dateityp: Dateityp-Informationen zu: jpg jpg
Downloads: 281
Dateigröße: 225,53 KB
Bildgröße: 756 x 393 Pixel
Schritte 11-16.jpg
Dateityp: Dateityp-Informationen zu: jpg jpg
Downloads: 313
Dateigröße: 840,80 KB
Bildgröße: 1627 x 843 Pixel
Schritte 17-21.jpg
Dateityp: Dateityp-Informationen zu: jpg jpg
Downloads: 275
Dateigröße: 229,04 KB
Bildgröße: 740 x 389 Pixel
Schritte 23-28.jpg
Dateityp: Dateityp-Informationen zu: jpg jpg
Downloads: 292
Dateigröße: 236,62 KB
Bildgröße: 756 x 385 Pixel
Schritte 29-34.jpg
Dateityp: Dateityp-Informationen zu: jpg jpg
Downloads: 368
Dateigröße: 228,99 KB
Bildgröße: 756 x 387 Pixel
Schritte 35-37.jpg
Dateityp: Dateityp-Informationen zu: jpg jpg
Downloads: 300
Dateigröße: 487,34 KB
Bildgröße: 756 x 868 Pixel


Lukas
"Das sind nicht die Jahre, Schätzchen, das ist Materialverschleiß." Lachender Smiley
 

#18 14.11.2011, 14:15
"Indy" Hans Abwesend
Mitglied

Beiträge: 9.188
Dabei seit: 01.04.2008
Wohnort: NRW

Betreff: Re: Uropas Kriegserinnerungen
Laß dir bitte von mir ganz herzlich gratulieren - und zwar desshalb, weil ich NORMALERWEISE die Schnauze GESTRICHEN voll habe mit Kriegs-Doku´s, Reportagen etc. Im TV alle Nase lang 3. Reich rauf und runter, U-Boot Krieg, Untergang des Panzerkreuzers XY, der Rußlandfeldzug, Des Schnäutzerträgers letztes Gefecht UND SO WEITER - aber DEINE Erzählungen haben mal etwas gänzlich anderes, neues, intimes gezeigt, daß mich durchaus zu fesseln vermochte. Von deiner Leistung (auch beim Buchbinden) bin ich sehr beeindruckt und daher gibts von mir 2 Daumen hoch dafür (mehr habe ich leider nicht sonst wäre die Anzahl höher). DANKE (!) für diese tiefen Einblicke.
Hans
 

#19 14.11.2011, 14:25
Caliburn Abwesend
Mitglied

Beiträge: 179
Dabei seit: 03.11.2011
Wohnort: -

Betreff: Re: Uropas Kriegserinnerungen
Ein wirklich tolles Projekt.
Es auf das komplette Leben auszuweiten ist eine ganz tolle Sache - ich denke da gerade an demenzerkrante Menschen oder Menschen mit Behinderung, die so beeinträchtigt sind, dass sie niemandem ihre Lebensgeschichte erzählen können.
Ganz tolles Projekt, liebevoll umgesetzt und adäquat verarbeitet. Von mir auch ein großes Dankeschön.
 

#20 14.11.2011, 16:01
Protoss Abwesend
Mitglied

Avatar von Protoss

Beiträge: 1.621
Dabei seit: 06.07.2011
Wohnort: -

Betreff: Re: Uropas Kriegserinnerungen
Ich hatte in der Nacht Zeit, um endlich diesen Thread mal lesen zu können. Ich muss zugeben, dass mich zunächst die Länge der Einträge abgeschreckt hat, nicht, weil ich keine Lust hatte, sondern weil ich diesen persönlichen Aufzeichnungen eines Menschen und seines Urenkels, der sich sehr viel Mühe damit gegeben hat, mehr als nur halbherzige Aufmerksamkeit schenken wollte.
Die Texte empfand ich äußerst interessant, war nach kurzer Zeit ebenfalls gefesselt und wollte wissen wie es weitergeht.
Danke, Jean Royale, fürs Teilen!

Die einzigartige handgebundene Ausgabe ist das I-Tüpfelchen und der krönende Abschluss!
Dein Urgroßvater würde sich mit Sicherheit sehr darüber freuen und wäre stolz auf Dich!
 

Seiten (2): 1, 2


Alle Zeitangaben in GMT +02:00. Aktuelle Uhrzeit: 11:30.