Indy2Go
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Betreff: Re: Der letzte Film
The Northman
Robert Eggers hat sich bereits mit "The VVitch" und "The Lighthouse" einen ausgezeichneten Ruf erarbeitet, wenn es darum geht, geschichtliche Epochen korrekt abzubilden. Auch mit seinem jüngsten Streich wühlt er wieder in der Geschichte herum, tiefer noch als zuvor. Und wieder hat er dafür akribisch recherchiert und letzten Endes das erreicht, was bisher noch niemandem so richtigen gelingen wollte: Einen Wikinger-Film zu drehen, der ohne Hörnerhelme auskommt, der zumindest die Lebensweise und Kultur der Wikinger akkurat zu zeigen versucht.
Viel faszinierender fand ich aber auch an Eggers' vorigen Filmen schon, dass er trotzdem gar nicht versucht hat, trocken-sperrige period pieces zu drehen, quasi Dokudramen, sondern immer die Welt aus der Sicht seiner Figuren zeigt. Figuren für die - im Falle von "The Northman" - ein Einwirken der Götter außer Frage steht, für die Magie existiert und rituelle Handlungen Bestandteil der Kultur sind. So gibt es auch in Eggers' Wikinger-Epos wieder eine übernatürliche Komponente, man bekommt Visionen zu sehen, Motive, die geradewegs aus der Mythen- und Sagenwelt der Wikinger entstammen, was den Film gefühlsmäßig schon fast zu Fantasy macht - auch wenn sich vieles damit erklären ließe, dass sich die Figuren einfach zu viel Wikinger-LSD reingepfiffen haben.
Die Handlung ist im Prinzip schnell erklärt: Es ist "Hamlet". Nein, "Hamlet" ist "The Northman", tatsächlich hat Eggers nämlich viel mehr die Amletus-Saga um den Prinz von Jütland umgesetzt, die eben schon Basis für Shakespeare war. Mit einer im Kern entsprechend simplen Rachegeschichte hat man es zu tun. Mehr braucht der Film aber nicht, um zu fesseln. Er ist toll geschrieben, fasziniert mit seiner Machart, der geschichtlichen Verankerung, aber auch der audiovisuellen Schönheit. Die Bilder von Jarin Blaschke sind grandios, die Plansequenzen zum Teil atemberaubend, das Sounddesign hält im Zusammenspiel mit dem Score eine unglaubliche Dichte aufrecht und die Authentizität ist beeindruckend. Die Kostüme, die aufwendigen Sets - es wirkt einfach alles verdammt detailverliebt.
Vor allem im ersten Akt sitzt für mich alles; jeder Schnitt, jede Einstellung, jeder Dialog. Der Film springt mit harten Brüchen von Schlüsselszene zu Schlüsselszene, er erzählt sehr viel, sehr komprimiert und lässt einem dabei gezielt keinen Raum zum Atmen. Danach nimmt er etwas Tempo raus, was zunächst funktioniert, aber dann ein wenig problematisch wird, wenn sich alles etwas repetitiv anfühlt, weil die Hauptfigur nicht so ganz in die Pötte kommen will. Viele sagen deshalb auch, der Film sei etwas zu lang geraten. Finde ich nachvollziehbar, trotzdem hat er für mich durchweg genug Reize geboten, um mich nicht zu verlieren. Und zum Ende hin schält er dann auch nochmal zwei Gänge hoch und liefert Bilder wie in den feuchten Träumen jedes Nerds.
Der Allstar-Cast funktioniert für mich auch durchweg. Vor allem Hauptdarsteller Alexander Skarsgård verblüfft mit einer unfassbaren Physis. Neben Ethan Hawke und Nicole Kidman sorgt von den Hochkarätern vor allem Willem Dafoe für einen denkwürdigen Auftritt und Anya Taylor-Joy ist einfach mal wieder bezaubernd. Claes Bang, der mir zwar als Dracula schon ganz gut gefallen hatte, wirkt hier auch weit weniger aufgesetzt.
Alles in Allem war "The Northman" für mich ein verdammt eindrückliches Kinoerlebnis, das ich jedem nur ans Herz legen kann. Im Gegensatz zu "The Lighthouse" (und auch "The VVitch") hat Robert Eggers dieses Mal einen Film geschaffen, mit dem er sich zwar auf ganzer Linie treu geblieben ist, der aber trotzdem auch für eine breitere Masse sehr gut funktionieren dürfte. Sein bester Film ist es für mich trotzdem nicht - aber ein richtig guter.
Marc S.
Bismarck biss Marc, bis Marc Bismarck biss.
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mal editiert, das letzte Mal am 16.05.2022, 16:01 von Indy2Go.
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