Aldridge
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Betreff: Re: Star Wars
Haben wir eigentlich einen PT-Thread? Nun ja, hier passt es vielleicht auch rein:
Peter Huth, Chefredakteur der Welt am Sonntag, ist anscheinend bekennender PT-Fan. Ein paar Tage nach seiner TLJ-Kritik, die ich gepostet hatte, hat er noch eine kleine Wertschätzung für die Prequels nachgeschoben. Guter Mann!
Zitat:Was George Lucas eigentlich erzählen wollte
Der neue „Star Wars“ wird kontrovers diskutiert. Nur darin sind sich alle einig: Die Episoden 1 bis 3 waren blöd. Doch wer das behauptet, verpasst, worum es in dem Epos wirklich geht. Eine Einführung.
Klar. Man kann sich bei Wagners „Ring der Nibelungen“ ganz besonders auf die planschenden Rheintöchter freuen oder ein Vorspiel und eine halbe Oper lang auf den „Walkürenritt“ warten, um ihn dann (bitte wenigstens leise!) mitzupfeifen und anschließend zweieinhalb weitere Abende befriedigt wegzudämmern.
Es gibt auch Zeitgenossen, die „Kaltblütig“ für einen coolen Krimi halten, die „Odyssee“ für eine Abenteuergeschichte. Fair enough. Alles gut. Nur das, worum es tatsächlich geht, in Oper und Opus, wird man so nicht ergründen.
Von der Kita bis in den Newsroom der WELT wird in diesen Tagen der neue „Star Wars“-Film, besprochen, wer schon drin war, ist eindeutig im Vorteil. Aber selbst Fünfjährige können durch eine Mischung aus ungewolltem Spoilertum auf Lego-Packungen („Flieg als Poe Dameron den Angriff auf den mächtigen Dreadnought-Sternenkreuzer der Ersten Ordnung“ oder Ähnliches) und fleißigem Zusammenreimen („Snoke MUSS Darth Plagueis sein. Oder zumindest Darth Wyyrlok III.!“) mitmachen.
Der Kosmos im Hintergrund
Die meisten schlurfen in „Die letzten Jedi“ wohl so, wie sie in den letzten oder den nächsten „Avengers“-Film gehen, freuen sich, wenn’s knallt, freuen sich, wenn ein Insider-Gag zündet, freuen sich, wenn ein Porg-Papageientaucher als Wookie-Barbecue endet und freuen sich vor allem schon sehr auf die Pizza danach. In einem aber sind sich alle einig, die Knirpse, die Knappen und die Knabberer: Also, die ersten drei Teile, die waren echt Mist!
Das ist sehr schade. Denn die drei Filme „Die dunkle Bedrohung“, „Angriff der Klonkrieger“ und „Die Rache der Sith“ erörtern viel tiefer als die mittlere Trilogie oder die neue Erweiterung das wahre Thema von „Star Wars“ – ohne dass die Filmserie eine ähnliche Gravität wie eine beliebige Reihe von Filmen mit gleicher Hauptperson hätte, sagen wir mal: James Bond.
Dieser Kosmos kann durchaus im Hintergrund wirken, man braucht ihn nicht unbedingt, um die Filme zu mögen. Die Ewoks werden kein Stück weniger knuddelig, die AT-AT-Läufer keinen Deut weniger eindrucksvoll. Nur die ganz große Gänsehaut, die entsteht nur, wenn sich kosmische Zusammenhänge an Abenteuern und Heldentaten offenbaren. Zeit für eine Ehrenrettung, die gleichzeitig eine Einführung ist.
Klonkriege? Was für Klonkriege?
In „Eine neue Hoffnung“, dem Ur-„Krieg der Sterne“, spricht der Eremit Obi-Wan Kenobi zum jungen Luke und berichtet, er, Kenobi, habe mit Skywalkers Vater in den Klonkriegen gekämpft. Weniger interessant als die Frage, wer denn nun der Vater sei (mittlerweile wissen wir es natürlich), war für uns damals: Was um Himmels willen sind die Klonkriege?
Auf jeden Fall müssten sie sein: eine gigantische Schlacht, ein epochaler Waffengang, der die Galaxis erschütterte und jene Ordnung schuf, die wir in „Episode 4“ vorfanden – die Welt, unterdrückt vom Imperium, die alten Helden an den äußersten Rand der Zivilisation verbannt, die neuen Heroen in ständiger Flucht.
Genau darum geht es in den Episoden 1 bis 3. Sie sind der Kern von „Star Wars“ und die Geschichte, die ihr Erfinder George Lucas eigentlich erzählen wollte – allein war die Vision vorerst zu groß für, ja, erstens seine Fähigkeiten als Drehbuchschreiber und zweitens für die finanzielle Vertrauensbasis der Filmstudios.
Was 1977 noch nicht möglich war
Daher 1977 der reduzierte Aufsatzpunkt mit „Krieg der Sterne“, daher die unbändige Energie von Lucas, den Epilog ab 1998 doch noch zu verfilmen. Sicher, er hat dabei Fehler gemacht, die Balance zwischen Klamauk (Jar Jar Binks, die unsäglichen Gungans überhaupt, der Roger-Roger-Roboter et cetera) und dem todesdüsteren Ende der Trilogie nie gefunden.
Er hat sich in CGI-gerenderten hyperkünstlichen Effekten verloren, die Kämpfe nach den Geboten der Videospielumsetzbarkeit inszeniert. Ein richtig guter Regisseur war er nie. Aber Hollywoods größter Weltenerschaffer.
Die Geschichte beginnt so: „Die Galaktische Republik wird von Unruhen erschüttert. Die Besteuerung der Handelsrouten zu weit entfernten Sternensystemen ist der Auslöser.“ Zugegeben, man kann ein Science-Fiction-Epos unterhaltsamer beginnen – aber dieses eben nicht.
Politik statt Popcorn
Tatsächlich ist die Blockade des Planeten Naboo durch die Handelsföderation der Startschuss zur Veränderung des gesamten politischen Systems der Galaxis. It’s the economy, stupid! Der galaktische Senat ist nicht in der Lage, Recht und Ordnung durchzusetzen und den Menschen auf Naboo zur Hilfe zu eilen.
Der Wille ist da, doch alle Bemühungen werden durch endlose Debatten im Allvölker-Parlament aufgrund von Partikularinteressen und Furcht vor einer militärischen Intervention zerredet. Kommt Ihnen das bekannt vor? Sehen Sie, Sie sind auf dem besten Weg, in „Star Wars“ etwas anderes zu sehen als den Film zum Popcorn-Familienbecher.
Führer dieser zahnlos gewordenen interstellaren UN-Vollversammlung wird Kanzler Palpatine, ein Demokrat, der allen Glauben an die Demokratie verloren hat und in einer ausgeklügelten Strategie den Umbau des politischen Systems in einer Diktatur plant. Nur auf diese Art, so seine feste Überzeugung, sei Frieden auf Dauer möglich. Putin und Erdogan könnten sich Palpatine-Fan-T-Shirts drucken.
Palpatine und Putin
Wie diese Herren hat Palpatine allerdings ein Problem: Mit welchem Trick erklärt man den Demokraten, dass ihre Rechte immer weiter eingeschränkt, die Freiheit abgeschafft und an ihre Stelle eine vom Militärkult geprägte Autokratie treten wird? Eine dunkle Bedrohung muss her.
Die tritt (im Hintergrund von Palpatine orchestriert) in Form der Separatisten (ich frage mich gerade, ob Putin nicht neben mir der Einzige ist, der sich näher mit diesen Filmen beschäftigt hat) auf, die die Republik bedrohen, ihr den Krieg erklären, woraufhin Palpatine sich – mit Zustimmung der naiven Demokraten – einer gigantischen Klonarmee bedient, der Vorgängerorganisation der Sturmtruppen des Imperiums.
Nun stürzt die gesamte Galaxis in einen Bürgerkrieg. Freund und Feind sind kaum voneinander zu unterscheiden. Wer das Richtige will, tut unbewusst das Falsche, das ist das Schicksal der taktisch völlig unbedarften Jedi, einer Kaste von Gutmenschen mit Lichtschwertern und verdrehter Grammatik.
Die Jedi? Überschätzt!
Ach ja. Die Jedi. Und die Sith, ihre Gegenspieler. Wofür sind die denn nun eigentlich da? Ehrlich gesagt: nicht für viel. Die große Zeit der Jedi und der Sith war lange vorbei, bevor die Handlung zu „Episode 1“ einsetzt. Nun sind sie – und ist auch die Religion, die sie verkörpern – höchstens noch Läufer auf dem Schachfeld, mittelalterliche Krieger und sinistre Schurken aus einer vergangenen Epoche.
Sie taugen als diplomatische Botenjungen, ab und zu im Gefecht oder als Schreckgespenster mit Teufelshörnern. Und, logisch, sie waren eben eine fixe Idee von George Lucas. Sein erster Entwurf für „Star Wars“ hieß: „Dies ist die Geschichte von Mace Windy, einem verehrten Jedi-Bendu von Opuchi ...“ Sie verstehen, was ich meine.
Nichts aber an der galaktischen Großwetterlage wurde durch sie entscheidend verändert oder beeinflusst. Säkulare Führungskräfte des Imperiums wie Grand Moff Tarkin oder General Hux haben sie stets als Relikte einer vergangenen Zeit abgetan. Niemand weiß das besser als Palpatine, ist er doch selbst in seiner heimlichen Identität der Obermotz der Sith.
Order 66
Er, der sich nun Imperator nennt, gibt schließlich den Klonkriegern die „Order 66“, den Befehl, alle Jedi zu vernichten – der letzte und erfolgreiche Schritt, eine moderne, effektive Diktatur zu errichten, in der die mächtige Magie der alten Religion („Die Macht sei mit dir“) nur noch dazu benutzt wird, lästige Gesprächspartner durch Würgegriff und Blitzschubser zur Räson zu bringen. Die wahre Macht des Imperiums und der Ersten Ordnung sind die Superwaffen: die Todessterne, die Starkiller-Base, die Dreadnought-Kreuzer.
„Urst langweilig“ sei das alles, wendet gerade eine Kollegin ein, die erfährt, worüber ich schreibe. Das mit dem Senat, den der von der Demokratie abgefallene Palpatine durchaus als „Quasselbude“ diskreditieren könnte, die ganze galaktische Politik, ausgelöst durch, gähn, Handelsroutenbesteuerung.
Sie hat insofern nicht unrecht, als dass „Star Wars“ als Kammerspiel nicht funktionieren würde. Es braucht die emotional erschütternden Bilder, und es braucht vor allem die Geschichte der Skywalkers, die sich durch die gesamte Reihe zieht, als emotionalen Anker.
Die Bedrohung der Demokratie
Aber alles, was dieser Familie auferlegt wird (so einiges: Ermordung der Urgroßmutter, Verstümmelung und Sündenfall des Großvaters, Kummertod der Großmutter, Selbstopfer des Sohnes und Vatermord des Neffen), geschieht vor dem Hintergrund der „Galaxie in Aufruhr“, die in all ihrer Komplexität, Brutalität und Verzweiflung nur in den ersten drei Filmen (und dem Spin-off „Rogue One“) geschildert wird. Ihr Schicksal treibt die Handlung voran, ihre Taten verändern den Lauf der Geschichte, aber sie ist nicht der Kern.
Man kann Homers „Odyssee“ als Blockbuster-Aneinanderreihung von Actionabenteuern des Superhelden der Antike lesen oder den „Ring des Nibelungen“ als wuchtiges Spektakel um einen Drachentöter und seine schräge Familie.
Interessanter und gewinnbringender aber ist der Blick auf das Thema, das verhandelt wird: Bei Homer und Wagner ist dies das Ringen des Menschen mit dem Schicksal (aka Göttern). In „Star Wars“ ist es die Bedrohung der Demokratie aus sich heraus, weil Freiheit viel zu wenig als Errungenschaft begriffen wird, um die man täglich kämpfen muss. Das gilt selbstverständlich nicht nur in einer fernen Galaxie vor unendlich langer Zeit.
Postscriptum: Nein, die Episoden 1 bis 3 von „Star Wars“ sind erst recht nichts für Kinder.
Quelle: https://www.welt.de/...ollte.html
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