Aldridge
Mitglied
Beiträge: 11.773
Dabei seit: 13.08.2009
Wohnort: -
|
Betreff: Re: Was lest ihr zur Zeit?
Tripods - Die dreibeinigen Herrscher (John Cristopher) - Ich habe gerade eine quasi 30-jährige Geschichte beendet... Wer in den 80er Jahren aufgewachsen ist so wie ich, der wird im Orwell-Jahr 1984 vor dem Fernseher gesessen und im ZDF Die dreibeinigen Herrscher geschaut haben. Dabei handelte es sich um eine BBC-Adaption der Trilogie von John Christopher (eigentlich: Christopher Samuel Youd), die für damalige Verhältnisse recht aufwendig umgesetzt worden war. Mit einem Schönheitsfehler: Nach Staffel 2, und damit nach Verfilmung des zweiten Buchs, stampfte die BBC das Projekt ein. Minderjährige Sci-Fi-Junkies wie ich (und mein gesamter Freundeskreis) blieben damit leicht unbefriedigt zurück, weil man nie erfuhr, wie denn die Geschichte nun zu Ende gehen würde. Im Laufe der vergangenen Jahre wurden die anfangs vergriffenen Bücher zwar neu aufgelegt, als Hörbuch vertont und die nie im Fernsehen wiederholte Serie auch auf DVD veröffentlicht. Aber ganz weit oben auf der Prioritäten-Liste standen die Dreibeiner nach so langer Zeit auch nicht mehr.
Nun aber. Im April veröffentlichte Pieper alle vier Bücher - also die Trilogie aus den Jahren 1966 / 1967 und die Vorgeschichte von 1988 - gesammelt in einem Band. Was ich als guten Anlass sah, das Werk mal aufzuarbeiten und die Auflösung zu erfahren. Und, wie ist es? Zunächst einmal Jugendliteratur Stand 60er Jahre. Soll heißen: Christopher beschreibt die Geschichte zwar aus der Sicht eines Ich-Erzählers, verwendet jedoch einen sehr simplen Schreibstil, der sich in der Original-Trilogie auf eine Berichtsform beschränkt und weitestgehend auf Dialoge zwischen den Charakteren verzichtet. Auf lebendige Unterhaltungen, emotionale Tiefen und dramatische Spitzen muss man damit größtenteils verzichten, was zunächst etwas ernüchternd wirkt. Hinzu kommt, dass die Geschichte im ersten Band über lange Strecken auf die Namen gebenden Tripods verzichtet und sich vielmehr auf klassische Jungs-Abenteuer der drei Protagonisten bei ihrer Reise aus der englischen Provinz in die Schweizer Alpen beschränkt. Die Charaktere laufen von Dorf A nach Dorf B, suchen was zu essen, laufen von B nach C, geraten in gefährliche, wenn auch nicht allzu gefährliche Situationen, suchen wieder was zu essen und so weiter. Insofern hatte ich schon befürchtet, dass ich die Lektüre nach dem ersten Buch automatisch abbrechen werde.
Was ich zum Glück nicht gemacht habe. Stilistisch geht es im zweiten und dritten Buch zwar genauso weiter. Doch die Geschichte wird (nach einer anfänglichen Wir-laufen-wieder-von-A-nach-B-Reise) irgendwann in die Stadt der Dreibeiner verlagert und kriegt dort deutlich mehr Drive. Christopher hat sich bei der Erscheinung seiner Außerirdischen zwar stark von H.G. Wells inspirieren lassen, doch es gelingt ihm wirklich richtig gut, die Dreibeiner als fremde Lebensformen mit fremden Eigenarten sowie das beschwerliche Dasein ihrer menschlichen Sklaven spannend und anschaulich zu zeichnen. Dabei setzt es sogar einige Härten, die in solch einem alten Jugendbuch dann vielleicht doch überraschen. Die Story des dritten Bandes, in dem die Menschen zum Kampf gegen die Außerirdischen übergehen, hält die Spannung trotz einiger unnötiger Füll-Episoden ohne Probleme. Ein wesentlicher Kritikpunkt ist dabei, dass der Plan recht linear ohne größere Rückschläge vonstatten geht. Doch dafür ist der Leser längst tief abgetaucht in der Geschichte. Die Auflösung der Alien-Invasion hat mich dann insofern erstaunt, als dass ich sie unbewusst schon kannte. Denn die Macher der Serie V - Die außerirdischen Besucher kommen (ebenfalls aus der Mitte der 80er) haben sich bei ihrem eigenen Finale doch offensichtlich bei den Dreibeinern bedient.
Das Prequel, das quasi als Appendix mitgeliefert wird, war dann eine kleine Überraschung. Christopher hatte es geschrieben, weil der Sci-Fi-Autor Brian Aldiss irgendwann die Tripods für ihre veraltete Technik Stand 60er kritisiert und in Frage gestellt hatte, wie solche "rückständigen" Außerirdischen die Menschheit denn mit ihren fortschrittlichen Waffen überhaupt besiegen konnten. Genau das zeichnet Christopher in dem Band sehr geschickt und stringent nach. Und obwohl er wieder einen Ich-Erzähler berichten lässt, ist er stilistisch doch ein bisschen "bunter" und anspruchsvoller unterwegs.
Was übrigens positiv auffällt: Zwar erzählt John Christopher seine Geschichte dem Genre entsprechend zügig "weg". Doch behandelt er die grundsätzliche Idee der Unterjochung durch die Tripoden recht differenziert. So macht er einerseits klar, dass die Außerirdischen den Menschen jeglichen eigenen Willen und damit auch jegliche Neugier genommen und sie in eine vorindustrielle Gesellschaft zurückgeworfen haben. Andererseits stellt er immer wieder die Frage, ob solch ein friedliches Leben nicht den alten Gesellschaftsformen mit ihren zerstrittenen Nationalitäten und Kriegen vorzuziehen sei. Zumal die Menschen in ihrem Kampf letztlich auch nur einem Anführer gehorchen müssen, um erfolgreich zu sein. Was noch positiv auffällt: Obwohl die Bücher von einem Briten in den 60ern geschrieben worden sind, kommen wir Deutschen erstaunlich gut weg.
Lange Rede, kurzer Sinn: Bei weitem nicht so hart und komplex wie heutige Young-Adult-Ware. Aber wohltuend bodenständig, spannend und - das hat man auch selten - mit einer Handlung, die den Fokus auf Europa hat.
Wer noch etwas tiefer einsteigen möchte - folgende Doku behandelt die Serie und spricht auch die Unterschiede zu den Büchern an:
https://www.youtube.com/watch?v=C9jjZ2EYozc
|