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#1 24.12.2014, 11:03
Aldridge Abwesend
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Betreff: Der Weihnachtsfriede von 1914
Pünktlich zu Heiligabend erinnern viele Medien heute an den bekannten Weihnachtsfrieden von 1914. Die meisten dürften die Geschichte kennen, aber sie ist - in gewisser Weise - einfach zu schön, um sie nicht auch hier zu Posten:

Zitat:
Schwere Geschütze gegen den Weihnachtsfrieden
Die Soldatenverbrüderungen, die zu Weihnachten 1914 in großem Stil an der Westfront stattfanden, wurden sogar von Divisionsgenerälen gedeckt. Die hohen Stäbe reagierten mit brutalen Maßnahmen.

Das Weihnachtsfest des Jahres 1914 hatten sich die meisten Europäer so nicht vorgestellt. Sie waren mitten im Sommer in einen Krieg gezogen, von dem sie überzeugt waren, dass er im Herbst wieder zu Ende sein würde. Hunderttausende waren für diese Überzeugung gefallen, aber das Ergebnis war nur eine in Gräben erstarrte Frontlinie, die sich durch Frankreich und Belgien bis an den Ärmelkanal zog. Angriffe darüber hinweg erhöhten nur die Zahl der Gefallenen und die Gewissheit, dass dieser Krieg kein Ende nehmen würde.

Die Enttäuschung darüber entlud sich in einer der merkwürdigsten Episoden des Ersten Weltkriegs: dem "Weihnachtsfrieden", dem wohl bekanntesten Beispiel für Soldatenverbrüderung im 20. Jahrhundert. Darunter versteht man "spontanes und eigenmächtiges Beenden der Kampfhandlungen und Verlassen der eigenen Stellungen mit der Absicht einer direkten Kontaktaufnahme mit den gegnerischen Soldaten" (Christoph Jahr).

Obwohl die Zahl der Soldaten, die sich 1914 verbrüderten, auf mindestens 100.000 geschätzt wird, vergingen rund 70 Jahre, bis der "Weihnachtsfrieden" wiederentdeckt wurde. Das war zunächst in Großbritannien. Bis zum Erscheinen des Buches "Der kleine Frieden im Großen Krieg" (2003) von Michael Jürgs, das die Erinnerung auch hierzulande populär machte, waren es noch einmal 20 Jahre.

Das lange Vergessen hat viele Ursachen. Zum einen taten die höheren Kommandoebenen seinerzeit alles, um den, wie sie es sahen, Zerfall der militärischen Disziplin geheim zu halten. Das gelang in Deutschland einigermaßen, in England brachten dagegen zahlreiche Zeitungen Berichte und sogar Fotos.

Da sich die Truppen in den folgenden Jahren an den Krieg gewöhnt und sie darüber einander hassen gelernt hatten, ließ sich das Verbrüderungsverbot, verbunden mit drakonischen Strafandrohungen, leichter durchsetzen. Nach dem Krieg sorgten die verhärteten Feindbilder dafür, die Erinnerung an den "kleinen Frieden" zu tilgen. Und der Militärgeschichtsschreibung galt er ohnehin als halbe Meuterei.

Denn im Grunde handelte es sich um eine einzige Demonstration gegen die Inkompetenz und Versprechungen der politischen und militärischen Führungen. Weder die Litanei, der Krieg werde ein kurzer Siegeszug, noch die Befehle, der nächste – sinnlose – Angriff werde der letzte sein, hatten sich als zutreffend erwiesen. Dafür wuchs die Wut über die Chateau-Generäle, die in behaglichen Quartieren weit hinter der Front irrwitzige Pläne entwickelten, die stets im Stacheldraht des Niemandslandes endeten.

Die Kluft zwischen den Führern und ihren Truppen war größer als zwischen den Besatzungen der Schützengräben, die beide eine Vorstellung davon hatten, dass auch die auf der anderen Seite nur Kleinbauern, Schneider oder Handschuhmacher waren, die sich in den nassen, kalten, schmutzigen Gräben in die Heimat zu Weib und Kind sehnten.

Diese Verbundenheit wurde im Dezember 1914 auch durch die hochemotionalen Weihnachtsfeiern auf beiden Seiten verstärkt, die vor allem an der Westfront oft nur einige Dutzend Meter voneinander entfernt stattfanden. In den Korrespondenzsammlungen der Bibliothek für Zeitgeschichte in Stuttgart haben sich Dokumente erhalten, die die vielfältigen Formen zeigen, die die "Soldatenverbrüderung" annehmen konnte.

In der neueren Literatur zum Thema werden stets die großen Szenen beschrieben, in denen vor allem deutsche und englische Soldaten aus den Gräben geklettert sind und im Niemandsland gemeinsam redeten, rauchten und tranken. Aber auch unter dieser Ebene gab es zahlreiche Zeichen von unausgesprochenen Übereinkünften, die sich übrigens keineswegs auf einfache Soldaten beschränkten.

So schrieb der Oberleutnant Hans Rensch in einem Brief: "Bereits am 22. (Dezember) hörte der Geschützdonner und das Gewehrfeuer auf. Nachts konnte man nicht schlafen, weil das übliche Donnern der schweren Geschütze fehlte. Die Stille war so unheimlich, dass sich jeder sagte, es müsse etwas Ungeheures, noch nie Dagewesenes eintreten. Jeder vermutete einen Sturm gegen unsere quer durch Frankreich und Belgien reichenden befestigten Stellungen. Doch nichts trat ein, auch die Weihnachtsnacht blieb ruhig. Nur heute Vormittag (25. Dezember) wurden so gewissermaßen aus Höflichkeit einige schwere Grüße hinüber- und herübergesandt, und nun ist es wieder still."

Auch Hans-Georg Reinhardt war ein Offizier – im Zweiten Weltkrieg sollte er zum Generaloberst aufsteigen –, den der "Frieden auf Erden" nicht unbeeindruckt ließ: "Überall in den Schützengräben brannten oben auf dem Grabenrand die Lichter der kleinen Christbäumchen ... Auch die englischen Gräben uns dicht gegenüber waren überall durch Lichter gekennzeichnet. Kein Schuss fiel, durch die Nacht klangen von der vordersten Front her die herrlichen Weihnachtslieder. Ein unvergesslicher Eindruck für jeden, der dieses Weihnachten miterlebt hat."

Doch das war noch nicht alles. Am ersten Feiertag bot Reinhardts Regiment seinem Gegenüber "eine Waffenruhe an, damit beide Gegner ihre noch von den schweren Oktoberkämpfen her zwischen den beiden Fronten liegenden Gefallenen beerdigen konnten. Der uns gegenüber befehlende englische Oberst nahm das Angebot sofort an ... Alle bei den Gefallenen noch gefundenen Erinnerungsstücke und Wertsachen wurden in über die Kriegsgegnerschaft sich erhebender edelster Kameradschaft an der Trennungslinie durch Offiziere ausgetauscht."

Das Regiment hatte es "natürlich" nicht versäumt, darüber die Division zu informieren, die den Vorgang billigte. Erst der Chateau-General reagierte mit einer heftigen Rüge. Wie weit sich die Frontoffiziere von den höheren Stäben entfernt hatten, zeigt die Erklärung Reinhardts für deren Vorgehen: "Aus unserem Tun hatte sich eine gewisse Verbrüderung an der Front festgesetzt, für die wir aber nichts konnten." Selbst der General, der 30 Jahre später eine ganze Heeresgruppe befehligte, konnte sich in der Rückschau der Faszination des Weihnachtsfriedens nicht entziehen.

Exakte Angaben über den Umfang der Soldatenverbrüderungen seien naturgemäß nicht zu ermitteln, schreibt der Historiker Christoph Jahr. Der Schwerpunkt habe aber eindeutig auf den Abschnitten der Westfront gelegen, an denen sich britische und deutsche Truppen gegenüberlagen. Vereinzelte Waffenruhen seien wohl auch für die deutsch-französische Front wie für die Ostfront belegt.

Dass auch dort der "kleine Frieden" ein breites Spektrum entfalten konnte, zeigt ein Beispiel, das der Publizist Heinrich Rieker in dem Brief eines deutschen Soldaten gefunden hat: "Wir hätten ihn mit Leichtigkeit abschießen können. Aber das war uns unmöglich. Der Franzose hatte zu Hause sicher eine Familie und vom Krieg die Nase ebenso voll wie wir. Und dann schuf das gemeinsame Erlebnis ... auf geheimnisvolle Weise ein Gefühl der Solidarität mit diesem Gegner."

Als "live-and-let-live-system" hat der britische Historiker Tony Ashworth diese Form der Gewaltdeeskalation bezeichnet, die auch 1915 und partiell sogar 1916 noch zu Weihnachten (und nicht nur dann) zwischen den Schützengräben gepflegt wurde. Darin steckte auch ein gewisses Maß von Insubordination gegenüber der obersten Führung. Die kaiserliche Oberste Heeresleitung unter Erich von Falkenhayn – der Mann, der die Hölle von Verdun plante – richtete 1915 eine verschärfte und zentralisierte Kontrolle der Front ein und drohte im Falle erneuter Verbrüderungen mit Kriegsgerichtsverfahren.

1914 reagierten die Armeestäbe, indem sie die Truppen aus den vordersten Linien gegen Einheiten aus rückwärtigen Stellungen ersetzten. Außerdem erhielt die schwere Artillerie, die im Hinterland stationiert war und von der weihnachtlichen Gefühlsaufwallung nicht berührt worden war, Feuerbefehl. Brutaler konnte der Maschinenkrieg seine Unmenschlichkeit nicht unter Beweis stellen.

Quelle: http://www.welt.de/...ieden.html
 

#2 24.12.2014, 16:15
dr-michael-Jones Abwesend
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Betreff: Re: Der Weihnachtsfriede von 1914
Anhand der damaligen Geschichte sieht man, dass für Kriege nur die "hohen" Politiker verantwortlich sind. Das eigentliche kleine Volk dagegen würde auch in Frieden leben können. Leider lernen wir nichts aus der Geschichte wie man ja jeden Tag auch in den Nachrichten sieht.

Es passt auch der Spruch:

Stell dir vor es ist Krieg und keiner geht hin!
 

#3 24.12.2014, 17:00
Aldridge Abwesend
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Betreff: Re: Der Weihnachtsfriede von 1914
Das waren heute Morgen exakt meine Gedanken. Es ist schon beinahe gruselig, was für Mechanismen da greifen müssen, damit auch wirklich jeder spurt und sein Leben für so einen Blödsinn opfert.
 

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