Betreff: Re: Public Enemies
Ich habe den Film am Wochenende im Digitalkino gesehen.
Für mich als Fan alter Gangsterfilme war der Film eine einzige Enttäuschung und eine Ansammlung bemängelnswerter Punkte.
- Was hat Musik mit e-Gitarren in einem Film der Zeit von 1930 zu suchen?
- Ich hasse es, wenn sich die Requisite so viel Mühe mit den Details der Ausstattung macht, aber selbst bei näherem Hinsehen kein einziges Detail zu erkennen ist, weil selbst an ruhigen Filmstellen mit der Kamera rumgewackelt wird... abgesehen von einer Szene in der eine Kamerafahrt auf Schienen gemacht wurde. Da wackelt nix.
- Alternativ: man kann Dialoge auch durch Close-ups versauen. Wenn ich in einer spannenden Umgebung bin, darf die Umgebung ruhig auch gezeigt werden. Wen interessiert es, selbst bei den Frauen jede einzelne Pore im Gesicht zu sehen? Das war in diesem Film wirklich extrem.
- Apropos Pore: man hätte das Loch in Johnnys linkem Ohrläppchen ruhig wegschminken können. Ich glaube nicht, daß Dillinger Ohrringe trug. An den Fähigkeiten der Maske in diesem Film zweifele ich eh ein bischen. Die Darsteller sind öfter mal zweitklassig geschminkt.
- die (oftmals lausige) Filzqualität der Hüte sieht man da natürlich auch besser.
- die Colorierung des Filmes hatte in der digitalen Projektion den Charme eines Farbfernsehers.
- von wegen, durch die digitale Aufnahmetechnik wären besonders realistische Aufnahmen von Dunklen Szenen möglich gewesen. Hier war das ISO-Rauschen (kennt man von seiner Digitalkamera bei Fotos dunkler Szenen) dann deutlich sichtbar. Bei einem ansonsten kornfreien Film ist das durchaus störend.
- wenn ihr den Film anseht, achtet bei der Totalen des Gefängniseingangs von Aussen mal auf den grauen Kasten links neben dem Eingangsportal. Für mich sieht das aus wie ein moderner Telefonkasten.
- ein paar Szenen später ist dann im Gebäude auf der gegenüberliegenden Straßenseite eine Leuchtstofflampe schön groß zu erkennen (die Leuchtstofflampe wurde erst 1938 kommerziell produziert)
- die Sache mit der Pistole wurde schon erwähnt
- Auch wenn der Film durchaus mit Bonny und Clyde verglichen wurde... bei Bonny und Clyde konnte ich noch erkennen, daß der Film eine Story transportiert, die Charakter vermittelt werden sollen. Hier wird nur herumgeballert und alles zwischen den Ballerszenen auf das unbedingt notwendige reduziert.
- So wurde zwar kurz mal J Edgar Hoover vorgestellt, wie er das FBI als Bundesbehörde etablieren will (was meines Wissens nach zu diesem Zeitpunkt aber schon längst geschehen war). Warum es so wichtig ist, dies zu erfahren, wird nicht vermittelt. Hoover hatte letztlich auch keine weitere Funktion im Film.
Der Fall Dillinger wurde laut Wikipedia auch zu einem FBI-Fall, weil er mit dem Wagen des Sheriffs über die Bundesgrenze floh, nicht weil sie länderübergreifend Banken überfielen.
- Der Grund warum Dillinger zum Staatsfeind Nr 1 wird, wird im Film nicht hinreichend vermittelt.
- Bei Wikipedia liest sich seine Zeit nach dem Ausbruch aus dem Gefängnis irgendwie völlig anders. Damit verfehlt der Film sein vorgebliches Ziel einer realistischen Darstellung völlig.
- Das vom Film in mir erweckte "Gefühl" über die damalige Zeit ist völlig anders als das von jedem anderen Film aus dieser Zeit erweckte. Wer hat wohl die 30er Jahre realistischer dargestellt - ein Regisseur der in dieser Zeit lebte und arbeitete, oder jemand der diese nur aus den Geschichtsbüchern kennt? Von daher habe ich Schwierigkeiten, diesen Film auch gefühlsmäßig als realistisch zu betrachten.