Betreff: Re: Marc bei Spiegel Online
Also begannen Kitter und Delk, selber zu experimentieren. Sie kauften alte Hüte bei ebay, pulten sie auseinander, formten sie um und nähten sie wieder zusammen. Schließlich wurde es Delk zu bunt. Ihm war klar: Wenn er genau diesen einen Hut haben wollte, dann musste er ihn selber herstellen. In der Library of Congress in Washington D. C. fand er ein altes Buch, “Scientific Hat Making”. Das wurde für Delk und Kitter zur Bibel. 10 Monate lang arbeitete Delk an dem Block für den Hut. “Hey, ich war Möbeltischler”, sagt er, “da denkt man, man kann aus Holz alles machen.” Also machte er einen Block für sich und einen für seinen Freund Marc.
Doch damit fing die Geschichte erst an. Kitter und Delk stiegen in die Magazine von Museen hinab, um dort alte Hüte zu studieren. Sie riefen alte Hutmacher an, die heute über 90 Jahre alt sind. Kitter in Europa, Delk in Amerika. “Einige davon waren richtig glücklich, mit jemanden über ihre Arbeit sprechen zu können”, erzählt Kitter. Die Hutmacherei ist eine Art Geheimwissenschaft. Tricks und Kniffe wurden niemals aufgeschrieben – dann hätte ja der Konkurrent ebenso gute Hüte machen können. “Aber jetzt, am Ende ihres Lebens, waren einige doch sehr glücklich, ihr Wissen nicht mit ins Grab nehmen zu müssen.”
Schließlich produzierte Delk einen Hut, mit dem er zufrieden war. Und stellte ihn ins Internet. “Das nächste, woran ich mich erinnere, ist, dass hunderte von Leuten diesen Hut kaufen wollten”, erzählt er, “aber ich war doch kein Hutmacher. Ich war Tischler.” Also setzte er sich nach Feierabend in seine Hutwerkstatt. Modellierte für Freunde, Fans und bald auch Fremde auf seinem neuen Block alte Hüte um, bis sie genau so aussahen wie der “Jäger”-Hut. Und machte jede Menge neue. Zunächst kassierte er dafür nicht mehr als nur den Selbstkostenpreis plus Portogebühren. Nach wenigen Monaten rief er Kitter an: “Marc, ich schaffe es nicht mehr allein. Willst Du mitmachen?”
“Ich war so gerührt”, erinnert sich Kitter. Er wusste, eine Zusage würde künftig jede Sekunde seiner Freizeit fressen. “Weißt Du was?”, ermunterte ihn schließlich seine Frau Isabell, “Du hängst doch sowieso die ganze Zeit vorm Computer und schaust Dir Hüte an. Wenn Du damit noch Geld verdienen kannst – um so besser!” Seit dem arbeitet Kitter, der im wirklichen Leben BWL studiert hat, tagsüber als Einkäufer eines großen Werkzeuglieferanten in Niedersachsen. Und Abends sowie am Wochenende macht er Hüte. Um nicht mit seinem Freund Steve Delk in Konkurrenz treten zu müssen, hat er sich auf die Deluxe Edition spezialisiert. Zwar verkaufen beide unter dem gleichen Namen “Adventuerbuilt”, aber Kitters Hüte sind um einiges teurer. “Ich habe einen Filzlieferanten, der qualitativ sehr hochwertigen Filz liefert”, erklärt er den Preisunterschied. “Der mischt die Farbe speziell an und bringt noch einen extra Wasserschutz auf.” Hochwertig sind allerdings auch die Hüte von Delk. Beide verwenden nur reinen Biberfilz. “Hase oder Kaninchen haben zu dicke Haare”, sagt Kitter. “Nur Biberhaare sind fein genug.”
Den Rohling liefert der Filzmacher. Der unförmige Kegel wird gedämpft und über dem Holzblock geformt, Mit verschiedenen Methoden wird der Hut künstlich gealtert, um spätere Verformungen zu vermeiden. Dann geht es ans Bügeln. “Je mehr Du bügelst, desto besser wird Dein Hut”, verrät Delk. Sandpapier gibt ihm den letzten Schliff, dann müssen noch das Schweißband eingenäht und das Hutband befestigt werden. “Ich hasse es, Schweißbänder einzunähen”, gesteht Delk. Deshalb hat er jetzt den Sohn seiner Schwester eingestellt, der ihm die ungeliebte Arbeit abnimmt. Am Ende hält er einen Hut in den Händen, wie ihn ein Hutmacher der 1930er Jahre nicht besser hätte machen können.
Längst schon genossen Kitter und Delk im Club Obi-Wan einen gewissen Ruf. Die beiden galten als absolute Perfektionisten und exzellente Hutmacher. Als der vierte Teil der Indiana Jones Reihe angekündigt wurde, ging das Rätselraten los: Wer würde den Hut liefern? Dann, eines Tages schon kurz vor Beginn der Dreharbeiten, rief Peter Botwright, Hersteller von Indys Lederjacken, an. Er würde sich am nächsten Tag mit Bernie Pollack, dem Kostümbildner (und Bruder von Regisseur Sydney Pollack) treffen – und der hätte noch keine Hüte. Ob er denn die Adresse der beiden an Pollack weitergeben solle.
“Da haben wir ein Gentlemen's Agreement geschlossen”, erzählt Delk. “Falls ich den Job bekommen sollte, würde Marc die Hälfte der Hüte machen. Und falls er den Job bekäme, würde ich die Hälfte der Hüte machen.” Am nächsten Tag rief Pollack bei Delk an. “Aber nur, weil Mississippi nur zwei Stunden Zeitverschiebung zu Los Angeles hat, und nicht sechs wie Europa”, beeilt sich Delk hinzuzufügen. Er bestellte zwei Dutzend Hüte, und Delk und Kitter begannen, Tag und Nacht zu arbeiten. “Die letzten konnten wir erst liefern, als die Dreharbeiten schon begonnen hatten”, erinnert sich Kitter. Insgesamt fertigten die beiden 48 Hüte für “Indiana Jones und das Königreich des Kristallschädels” an: “Neun für Ford, entsprechend viele für seine drei Stuntdoubles, und ein paar extra für Steven Spielberg, die er als Geschenke an gute Freunde verteilen wollte”.
Was wird das für ein Hut sein, der im “Königreich des Kristallschädels” Harrison Fords Schädel ziert? “Eine Mischung aus dem “Jäger”-Hut und dem Hut, den Indy in dem “letzten Kreuzzug” getragen hat”, verrät Delk. Für echte Fans ist der “Jäger”-Hut der einzig wahre. 99 Prozent der Hüte, die er und Kitter auf Wunsch fertigen, sind “Jäger”-Hüte. “Aber den mochte Pollack nicht”, grummelt er, “also mussten wir einen Kompromiss machen.” Beide Freunde tragen auch privat “Jäger”-Hüte. “Ich hatte nie Zeit, mir selber einen Hut zu machen”, erzählt Delk. “Also trage ich einen Hut, den Marc mir geschenkt hat. Den oder einen alten original Stetson aus der Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg.”
Zeit hat Steve Delk seit vier Jahren nicht mehr, seit er mit dem Hut-Business begann. Und dabei ist es jetzt wohl noch verhältnismäßig ruhig im Vergleich zu dem Sturm, der über Delk und Kitter hereinbrechen wird, sobald der “Kristallschädel” in den Kinos läuft. Delk sieht dem Rummel mit südstaatlicher Gelassenheit entgegen. Vor ein paar Tagen fragte die New York Times bei ihm für ein Interview an. “Ich glaube, ich will gar nicht mit denen reden”, brummt er. “Ich habe schon genug Publicity.” Seine Prioritäten liegen wo anders. “Das beste ist, dass meine drei Enkelkinder eines Tages den Film gucken und sagen können: Opa hat diesen Hut gemacht!”
“Steve könnte altersmäßig mein Vater sein”, sagt Kitter über Delk. “Aber er ist mein bester Freund.” “Marc ist der beste Freund, den ich je hatte”, sagt Delk über Kitter. Getroffen haben sich die beiden noch nie. Es wäre eine weite Reise. Und Delk hat Flugangst. “Wenn ich je nach Europa fahre, dann in einem Boot!” sagt er. Die Filmpremiere wäre eine gute Gelegenheit für ein erstes Treffen. Doch bislang hat Bernie Pollack noch keine Karten für Hollywood geschickt. “Ich werde den Film vielleicht in Kopenhagen anschauen”, plant Kitter vage. Und Delk? “Ich muss den Film auf jeden Fall zwei mal sehen. Ich weiß, beim ersten Mal werde ich nur auf den Hut achten können. Aber ich will ja auch wissen, wovon die Story handelt.”