Komplettes Thema anzeigen 30.06.2023, 07:14
dcc Abwesend
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Betreff: Re: Dial of Destiny - Reviews auch mit Spoilern
Indiana Jones and The Dial of Destiny

Ich war nie Indiana Jones Fan. Ich sah die Filme nie in meiner Kindheit oder Jugend (tatsächlich dachte ich lange „ich will das nicht sehen, weil mich Western nicht interessieren“. Indianer und so :-) ) Irgendwann in meinen späten 20ern und nicht allzu lange vor Teil 4 habe ich dann die Originaltrilogie nachholt. Als „Spätberufener“ war für mich die massive Kritik an Teil 4 immer etwas merkwürdig. Für mich war das wie selbstverständlich ein Indiana Jones Film, mit moderneren Mitteln gedreht, auf die der Film aber an manchen Stellen zu sehr setzt.

Dass es überhaupt noch mal 15 Jahre später einen fünften Teil geben sollte, klang für die einen wie eine Verheißung, für die anderen wie ein schlechter Witz. Nach dem Kinobesuch jetzt muss ich feststellen, es ist fast wie ein Märchen, wenn man den 77 jährigen Pampel noch mal auf dem 80 jährigen Ford hört, und dazu 140 Minuten lang die wunderbaren Klänge vom 91 jährigen John Williams hört. Dass zudem noch der ein oder andere aus der alten Garde der Indiana Jones Filme auftaucht, ist wie die Kirsche auf der Sahnetorte – das Ganze wirkt wie eine Ode an die Reife die das Alter mit sich bringt, ein letztes Aufbäumen der guten alten Zeit. So fühlt sich dann auch ein Großteil des Films an.

Leider beginnt alles ganz anders. Im Gegensatz zu einer merkwürdigen Mehrheit der Kritiker und Zuschauer fand ich das De-aging alles andere als überzeugend, nein es wirkt sogar als habe man relativ schlampig Fords Gesicht aus einem Videospiel gestohlen und es auf einen völlig anderen Körper gesetzt (viel besser dann in dem späteren Rückblick auf die 50er!). Dass das Ganze aber auch noch eingebettet wird in eine in Teilen frappierend an MCU-Action erinnernde Sequenz, macht es nicht besser und lässt Schlimmes erahnen (gerade die hektisch, verwaschene Motorradsequenz würde viel besser in einen Captain America Film passen). Doch auch hier gibt es im Grunde Gutes: Wie Jones sich Wagon-weise von vorne bis hinten durch einen Zug voller Nazis „schlawinert“ ist großes Kino, völlig Spielberg-like, und lässt hoffen – eine Hoffnung, die im restlichen Film nicht mehr enttäuscht wird.

Sobald es im Anschluss nämlich ins Jahr 1969 übergeht, ist auf einmal alles im Film echt. Die Kulissen, die Action, die Stunts, die Charaktere – langsam komme ich gefühlsmäßig im Film an. Es ist zunächst eine ungewohnte Zeit, für den Zuschauer als auch unseren Helden, der sich deplatziert fühlt und dem es privat nicht gut ergangen ist. Die Szenen im liebevoll rekonstruierten Amerika der späten 60er sind spannend. Mangold wandelt hier leicht auf den Spuren eines Spionage Thrillers, mit vielen undurchschaubaren Charakteren (überhaupt, das Casting ist top!). Mit der großen Actionszene, welche langsam und spannend in einem Archiv beginnt und dann in eine große Verfolgung inmitten einer Parade ausartet setzt der Film ein Highlight. Gut geplante Action, immer behält man den Durchblick, teils überraschend, dann plötzlich brutal, fast immer gelingt die Illusion, dass der alte Hauptdarsteller hier selbst am Werke ist.

Spätestens wenn es danach auf Reisen geht, verliert man sich völlig in der spannenden Handlung und im Abenteuer. Die Locations und Kulissen atmen echtes Indy Feeling und die Szenen werden jetzt immer besser. Fords Interaktionen mit Waller-Bridge sind Klasse! Sie ist leicht die beste weibliche Hauptrolle in der Serie, mindestens seit Allen in Raiders. Ja, teilweise hat sie viel Screentime, übernimmt oft das Heft des Handelns, löst auch Rätsel mal selbst und rettet unseren Helden (naja, sie versucht es zumindest…). Doch nie fand ich das störend. Gleiches gilt auch für den kindlichen Sidekick. Weite Teile im zweiten Akt erinnern aufgrund dieser Konstellation sehr an Temple of Doom – nur eben, dass weder Helena noch Teddy je so stören wie Willie und Shorty.

Etwas zu früh kommt die nächste große Actionszene – bzw. gleich im Doppel. Ich lehne mich da weit aus dem Fenster, aber die kreative Inszenierung des Katz- und Mausspiels bei der Auktion und die anschließende Tuk-Tuk Action spielen für mich in der allerersten Liga der Indiana Jones Action. Nein, das hätte Spielberg heute nicht besser inszeniert. Auch an anderen Stellen ist Mangolds Regie unauffällig aber doch einfallsreich etwa wenn sich Indie im Fenster spiegelt, und es über seine Erinnerung dann über zu Helena geht, die sich auch im Fenster spiegelt.

Schön ist im gesamten Film, dass Ford nie Dinge tun muss, die völlig unglaubwürdig wirken. Zwar verteilt er ordentlich Schläge, doch meist hilft ihm eine List, oder aber er wird mal wieder gefangen. Genau das könnte man ggf. an der Handlung kritisieren. In der gesamten zweiten Hälfte wird Jones eigentlich ständig gefangen genommen, befreit, und wieder von vorne. Allerdings war das auch in den früheren Filmen oft so, und zudem ist der ganze Film hier in gewisser Weise ein Katz- und Mausspiel zwischen dem Bösewicht Voller und der Truppe um Indy.

A propos Voller. Mads Mikkelsen gibt einen wahrlich formidablen Bösewicht ab, der von vorne bis hinten immer präsent ist. Mal schleimig, mal brillant, mal durch und durch Nazi-böse, brutal, und einfach widerlich rassistisch (allein die Andeutung reicht). Dass der Film so eindeutig Indy wieder gegen die Nazis kämpfen lässt, ist irgendwie erfrischend konsequent. Spätestens als im Finale alle ihre Nazi Uniformen anlegen, habe ich mich dabei ertappt, welchen diebischen Spaß ich hatte wieder einen „richtigen“ Indiana Jones Film zu sehen!

Alles in Nordafrika und dann Sizilien ist astreines Indy Materia. Rätsel über Rätsel, ohne dass dann noch viel durch Exposition unterbrochen werden muss (ein Schwachpunkt von Teil 4).

Überall liest man, der Film sei rund 20 Minuten zu lang. Ich habe das nicht so empfunden und war überrascht als es schon zum Showdown ging. Dennoch, der Film hat ein im allerbesten Sinne altmodisches Erzähltempo. Es ist kein 95 Minuten Film voller Action à la Liam Neeson, den man mal eben so durchzieht. Der Film zelebriert die Zeit (im wahrsten Sinne dann auch).

Und dann kommt er also: Der Showdown.

Ein Merkmal der Serie ist ja, dass am Ende immer das passiert, was sich die ganze Zeit andeutet, aber man nicht für möglich hält. In Teil 1 ist das kurz und „bunt“, in Teil 2 ist es eingebettet in eine sowieso recht skurrile Wodoo Handlung, Teil 3 verzeiht man alles weil mit Connery eh alles perfekt ist, und Teil 4 hat… nun ja lassen wir das.
Wenn man sich auf Indiana Jones einlässt, dann ist der Showdown hier konsequent und absolut stimmig, gerade auch deshalb, weil hier thematisch so vieles so schön zusammenpasst (Zeit, Archäologie,...).

Nicht alles ist perfekt. Die Motivation des Helden und seine Entwicklung im Film, und ebenso die von Helena hätte besser herausgearbeitet werden können, um das Ende des Showdowns und die finalen Szenen besser einzubetten. Ein wenig habe ich das Gefühl, dass man mit dem hier behandelten Thema bzw. der Fähigkeit des Artefakts eine noch tollere Story oder vielmehr aussagekräftigere Motive und Parallelen zur Situation und Sehnsucht des Helden hätte erzählen können.
Leider muss ich gestehen, dass nach einmaligem Sehen des Films viele Fragen zur Funktionsweise des Artefakts und den „geschichtlichen Hintergründen“ offen bleiben,

Ein kleines Fazit.
Als jemand der auch immer Teil 4 mochte würde ich doch jetzt sagen: Mit Dial of Destiny hat die Indiana Jones Trilogie einen späten, aber würdigen Epilog erhalten. Schön, dass es noch solche Filme gibt!

P.S.: Eines muss aber gesagt sein. Schon lange habe ich keinen alberneren CGI Moment gesehen als wenn ganz am Anfang „Indiana Jones“ (oder eher eine 16-bit Animation aus Super Nintendo Zeiten) über den Zug sprintet.
Dieser Beitrag wurde 2 mal editiert, das letzte Mal am 02.07.2023, 08:27 von dcc.