Komplettes Thema anzeigen 20.12.2017, 10:03
Aldridge Abwesend
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Betreff: Re: Der Tee-Thread
Moin!

Um den Thread mal (kurzzeitig) aufzuwecken:

Zitat:
Die Teetied in Ostfriesland dauert drei Tassen

Ostfriesland ist Weltrekordregion des Teekonsums, nirgendwo sonst trinkt man mehr. Eine Leistung, denn schnell eine Tasse geht hier nicht. Teetrinken ist ein Ritual, das Muße braucht. Umrühren? Verpönt!

Kanäle durchziehen die flache Gegend, an markanten Stellen ragt eine Windmühle oder eine Klappbrücke empor und hie und da ein Warfendorf zwischen Meer, Marsch und Moor: Im Land der Teetrinker sieht es aus wie in den angrenzenden Niederlanden. Der Wind bläst meist aus Richtung Westen, weshalb sich die Bäume in Ostfriesland gen Osten krümmen. Sie werden „Windlooper“ genannt, als liefen sie mit dem Wind davon.

Viele kennen die Region vor allem wegen der Witze, etwa: Was ist ostfriesischer Dreikampf? – Lesen, Rechnen, Teebeutel-Weitwurf. Oder: Wie sieht ein Ehekrach auf Ostfriesisch aus? „Willst noch nen Tee?“ – „Nee!“

Schon Heinrich Heine spottete, als er auf der Ostfriesischen Insel Norderney weilte, über die Einheimischen, die in kleinen Hütten „wohlverwahrt in wollenen Jacken herumkauern und einen Tee trinken, der sich von gekochtem Seewasser nur durch den Namen unterscheidet“.

Ostfriesland liegt noch vor Großbritannien und China
Mittlerweile wird Ostfriesentee sehr wertgeschätzt und gilt als qualitätsvoll. Vergangenes Jahr wurde die mehr als 300 Jahre alte ostfriesische Teekultur sogar in das immaterielle Kulturerbes der Unesco aufgenommen. Tatsächlich ist sie mit einer schnellen Tasse nicht vergleichbar.

Die Teetied (Teezeit) gibt Struktur und beschert Momente der Muße. Bei manchen Ostfriesen findet sie täglich sechs Mal statt, etwa als Pause Elführtje am Vormittag und als Nachmittagstee um 15 Uhr, gemäß dem Motto „Ostfriesische Gemütlichkeit hält stets ein Tässchen Tee bereit“.

Dazu muss man wissen, dass sich ein echter Ostfriese bei jeder dieser Teezeiten drei Tässchen gönnt: „Dree Koppkes Tee is Oostfreesenrecht.“ Mit ihrem Teedurst haben die Ostfriesen sogar einen Weltrekord aufgestellt.

Sie kommen nach Zahlen des Deutschen Teeverbands auf einen Durchschnittskonsum von 300 Litern pro Person im Jahr und hängen in dieser Disziplin den Rest von Deutschland deutlich ab, wo gerade einmal 28 Liter üblich sind. Und nicht nur das: Als Region liegt Ostfriesland sogar noch vor den Teenationen Großbritannien und China.

Teestuben verführen Touristen zu der Zeremonie
Eine reife Leistung, die nur durch zahlreiche Teezeiten erreichbar ist – jede Tasse wird genüsslich vorbereitet. Nach dem ostfriesischen Knigge sollte die Teezeremonie eröffnet werden, indem man ein Stück Kandis (Kluntje) mithilfe einer silbernen Kluntjezange in die Tasse gibt.

Eine solche Zange bekamen Mädchen als zukünftige Aussteuergabe zur Konfirmation geschenkt. Dann wird der heiße Tee über den Zuckerklumpen gegossen, bis der Kandis knisternd zerbricht, um schließlich Sahne sanft auf dem Teespiegel abzulegen, die sich wie ein Wölkchen (Wulkje) ausbreiten soll.

Umrühren ist verpönt und wenig sinnvoll, will man Schluck für Schluck den ostfriesischen Dreiklang erleben: vom oberen mild-sahnigen über einen aromatisch-herben bis zu einem stark süßen Tee am Tassengrund.

Viele urige Teestuben verführen Touristen, an diesem Ritus teilzunehmen und mehrmals täglich die Teezeit zu feiern. Zum Beispiel „Poppinga’s Alte Bäckerei“ , wo Tee im Service „Ostfriesische Rose“ auf dem Stövchen serviert wird.

Die Teestube liegt in Greetsiel, einem der schönsten Orte der Region und der gesamten Nordseeküste Deutschlands. Zwei Windmühlen, von Kastanienbäumen gesäumte Kanäle, kopfsteingepflasterte Gassen, Giebelhäuser dicht um einen malerischen Hafen und bunte Krabbenkutter – da staunen die Besucher.

Westlich am Deich steht der Pilsumer Leuchtturm. Das gelb-rot geringelte tonnenförmige Seezeichen diente als Kulisse in Otto-Waalkes-Film „Otto – Der Außerfriesische“. Weiter draußen liegt Norderney in dunstiger Ferne.

Seefahrer aus den Niederlanden brachten den Tee
Auf das Wasser der Harle, das kurz darauf in der Nordsee aufgehen wird, blickt man in der Teestube „Tüdelpott“ in Carolinensiel – ebenfalls ein perfekter Ort für eine schöne Teezeit. Selbst bei trübem Wetter fühlen sich die Gäste in dem historischen Kapitänshaus wohl, hocken am Kachelofen und wählen unter vielen Tees ihren Favoriten, einen Assam „mit goldenen Knospen“ oder „Ostfriesisches Goldblatt mit feinen Spitzen“. Kuchen und Rum-Spezialitäten runden das Geschmackserlebnis ab.

Für eine dritte Teetied empfiehlt sich die „Teestube Kluntje“ bei der Stiftsmühle im Kreisstädtchen Aurich. Bequem sind hier die Sofas, extrem lecker die Tees und hausgebackenen Kuchen. Der Raum sieht aus wie Großmutters Wohnzimmer. Ein Platz, um sich wie ein Kind verwöhnen zu lassen, etwa mit Ostfriesentee und Ostfriesentorte oder Buchweizenwaffeln.

Wer die Teezeit-Regeln unter Anleitung erlernen will, besucht die Teezeremonie im Ostfriesischen Teemuseum in Norden, die mittwochs und samstags angeboten wird, oder, jeden Dienstag, die Teestunde im Bünting Teemuseum in Leer.

Ein Grund dafür, dass sich in Ostfriesland ein Kult um den Tee etablierte, ist die Nähe zu den Niederlanden und der damit einhergehende frühe Kontakt mit dem Getränk. Seefahrer der Niederländischen Ostindien-Kompanie landeten 1610 die erste Partie japanischer und chinesischer Tees in Europa an, und zwar in Amsterdam. Zugunsten des Teegenusses ebbte der in Ostfriesland bis dato ausgiebige Alkoholkonsum ab.

Beim Testen ist Schlürfen ein Muss
Ostfriesentee besteht aus einer kräftigen Schwarztee-Mischung. Die Basis bilden Assam-Second-Flush-Tees, also Blätter der zweiten Ernte einer Saison, die zwischen Mitte Mai und Juli gepflückt werden und eine gehaltvolle, malzige Note besitzen.

Dazu kommen Tees anderer Provenienz wie Darjeeling, Ceylon und Indonesien. „Jede Marke hat ihre spezielle Komposition mit eigenem Charakter und spricht mit ihrem jeweils unverwechselbaren Geschmack unterschiedliche Teetrinker an“, sagt Matthias Stenger, Leiter des Ostfriesischen Teemuseums in Norden.

Das Museum klärt über die Herstellung dieser Kompositionen, die verschiedenen Tee-Anbaugebiete und den Teehandel auf; Exponate wie eine alte Teebeutelpackmaschine und Schätze aus Kolonialwarenläden veranschaulichen die Geschichte.

„Während der Second-Flush-Periode erreichen uns täglich viele Teemuster, in Spitzenzeiten 200 Proben und mehr“, sagt Egbert Kolthoff, Prokurist und Einkaufsleiter beim Teehandelshaus J. Bünting. Beim Testen ist Schlürfen nicht nur erlaubt, sondern ein Muss, wie Kolthoff erklärt, so werde der Tee in feinste Partikel zerstäubt und in den Mund hineingesogen: „Durch das Umwälzen und leichte Schnalzen mit der Zunge gelangt der Tee an die Geschmacksknospen im Mund des Testers.“

Bis zu 30 unterschiedliche Sorten kombiniert der Teetester zu einer „Echten Ostfriesischen Mischung“. Eine schwierige Aufgabe: Im Gegensatz zum Weinliebhaber, der jedem Jahrgang eine besondere Note zugesteht, erwartet der Teefreund, dass sein Lieblingsgetränk immer so schmeckt wie gewohnt.

Kein Platz für Experimente also, bestätigt Egbert Kolthoff. „Neue Teesorten mir anderen Geschmackskompositionen gibt es sehr wohl, jedoch sollte man tunlichst vermeiden, die neuen Kreationen als Ostfriesentee zu bezeichnen.“

Privat muss der Teetester deshalb seine Geschmacksnerven schonen, „insbesondere auf Knoblauch verzichte ich während der Woche. Zum Frühstück und auch sonst vermeide ich lieber stark beeinflussende Geschmacksprofile wie die einiger Käsesorten.“

Tee ist für den waschechten Ostfriesen auch vor und nach der Arbeit unverzichtbar, und so kommt Egbert Kolthoff auf „mindestens ein bis eineinhalb Liter Ostfriesentee pro Tag. Die sorgen dafür, dass ich meine Betriebstemperatur erreiche und erhalte.“

Quelle: https://www.welt.de/...assen.html