Betreff: Re: Blade Runner 2
Gesehen, gemessen und für nahezu perfekt befunden. Wenn sich Feuilletons und Internet-Nerds gemeinsam in Lobpreisungen ergehen, muss man ja schon ein bisschen vorsichtig sein. Aber Blade Runner 2049 funktioniert so ziemlich auf allen Ebenen.
Um zunächst an der Oberfläche zu bleiben: Als Vertreter derjenigen, die den originalen Blade Runner zwar für faszinierend und wegweisend, aber auch für spröde und langatmig halten, kann ich Entwarnung geben: Ja, Blade Runner 2049 ist langsam erzählt und ruhig inszeniert. Aber rein vom audiovisuellen Standpunkt aus ist der Film beinahe schon ein meditatives Erlebnis. Gerade der ruhige Erzählrhythmus von Villeneuve, gepaart mit den wunderschönen Bildern und dem flächigen Synthscore von Wallfisch und Zimmer (der separat vom Film wahrscheinlich wirklich eine Herausforderung sein dürfte), entwickelt eine regelrechte Sogwirkung und trägt den Zuschauer - sofern er sich drauf einlässt - mit sich fort. Längen konnte ich jedenfalls keine ausmachen, in der Welt hätte ich (als Zuschauer) gerne noch mehr Zeit verbracht.
Dabei schafft Blade Runner 2049 auch noch einen netten Spagat: Einerseits funktioniert er als eigenständiger Film. Aber andererseits macht er genau das, was man von einem Sequel gerade eines Klassikers wie Blade Runner erwarten dürfte. Denn er greift nicht nur das Altbekannte auf, sondern er entwickelt es sinnvoll fort und weitet den bekannten Horizont ein ganzes Stück aus. So wird aus dem düsteren und verregneten Los Angeles des Originals eine viel reichhaltigere Welt mit interessanten Aspekten (Stichwort Joi).
Apropos Oberfläche: "Style over Substance" trifft auf diesen Film genauso wenig zu wie auf das Original. Blade Runner stellte - in SciFi-Maßstäben - die übergroße philosophische Frage danach, was überhaupt den Menschen ausmacht. Blade Runner 2049 treibt das Spiel noch ein ganzes Stück weiter und bietet dabei eine Reihe von Interpretationsansätzen, die man auch noch in unterschiedliche Tiefen treiben kann. Ohne zu viel spoilern zu wollen, nur mal als Beispiel: Wie viele Menschen gibt es eigentlich noch auf der Erde? Was trennt Menschen und Replikanten noch voneinander? Wer verhält sich im Film eigentlich menschlicher: die Menschen oder die Replikanten (und Künstlichen Intelligenzen)? Und resultiert dieses Verhalten aus dem freien Willen oder doch nur aus einer Programmierung (oder im Sinne von Dick: aus Erinnerungen)? Da lässt der neue Film seinen Vorgänger nicht mehr wie einen übergroßen Klassiker, sondern eher wie einen Prolog wirken.
Übrigens so am Rande: Wenn man es genau nimmt, findet sich diese Mensch-Maschine-Thematik schon ziemlich gut in Prometheus und Alien: Covenant (hüben wie drüben war Drehbuchautor Michael Green mit an Bord). Im neuen Blade Runner wirkt es aber irgendwie runder.