Komplettes Thema anzeigen 10.06.2017, 23:28
Aldridge Abwesend
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Betreff: Re: Der letzte Film
Ich musste wohl mal wieder meinen Alzheimer auffrischen. Zwinkernder Smiley

Mord im Orient Express (1974) - Sidney Lumet hat es wohl irgendwie mit der Zahl 12. Naja, jedenfalls bringt er hier in gewisser Weise 12 ganz spezielle Geschworene zusammen und liefert nach Christies Vorlage ein klassisches Whodunit ab. Dass die Figurenkonstellation dabei in höchstem Maße konstruiert ist, lassen wir mal wohlwollend außen vor. Lumet gilt bzw. galt als sogenannter Straightshooter, und diese direkte Art des Filmens kommt der Abfolge von Verhören sehr zugute. Da gibt es wenig Mätzchen und Spielereien und die Schauspieler - allen voran Ingrid Bergman in ihrem zurecht oscarprämierten, 5 Minuten langen Monolog im Close-up - können zeigen, warum sie damals als Weltstars galten. Das hübsche Kammerspiel wird dann noch garniert mit ein paar irgendwie britischen ironischen Brechungen (wobei man die Vorbereitungen der Zugfahrt gerne mal mit dem Anfang von Richard Lesters Juggernaut aus dem gleichen Jahr vergleichen darf). Und obwohl ich mit Peter Ustinov als Poirot sozialisiert worden bin, gefiel mir Albert Finney nun bei der Neusichtung doch besser, denn Hand aufs Herz: Ustinov hatte letztlich nur sich selbst gespielt.

Was Kenneth Branagh bei der anstehenden Neuverfilmung vielleicht anders machen kann? Mal von der optischen Gestaltung aufgrund des technologischen Fortschritts abgesehen, könnte er den Figuren vielleicht noch etwas mehr "Charakter" geben und sie nicht einfach auf eine Funktion reduzieren - wohlgemerkt sofern das die literarische Vorlage hergibt. Und dann wäre da noch ein gewisses moralisches Dilemma, das am Ende des 74er Films doch etwas arg selbstverständlich abgehandelt wird und eigentlich nach einer kleinen Diskussion verlangt. Eine Sache - das sieht man bereits im Trailer - ist jedenfalls schon mal besser: Branaghs Schnurrbart ist größer.