Komplettes Thema anzeigen 24.01.2017, 00:34
Aldridge Abwesend
Mitglied
Dabei seit: 13.08.2009
Wohnort: -


Betreff: Re: Die letzte Serie
The Man in the High Castle - Staffel 2 - Insgesamt sehr gelungene Fortführung der Geschichte. Was umso bemerkenswerter ist, als dass sich die Macher nun verstärkt von der Buchvorlage lösen und die Story eigenständig weiterführen - und das deutlich konsequenter als Philip K. Dick selbst. Dick hatte mit dem Orakel vom Berg seinerzeit zwar eine großartige Idee für eine Alternativwelt-Geschichte. Aber das Ende hatte er ebenso großartig verhauen, was die Serien-Autoren nun tatsächlich auszubügeln scheinen. Das langsame Erzähltempo aus Staffel 1 bleibt zwar erhalten. Doch das trägt zu einem guten Teil auch zur besonderen Atmosphäre der vorgestellten Welt bei. Das Szenario liefert noch immer reichlich Verfremdungseffekte, indem es bekannte Elemente der Popkultur mit faschistischen Strukturen mischt. Es kommt sogar endlich das im Roman erwähnte Atlantropa-Projekt zur Sprache. Und die schauspielerischen Leistungen sind auf durchweg hohem Niveau, ganz vorne weg die Leistung von Rufus Sewell. Dabei meistert die Serie sehr gut den Kniff, zunehmend Sympathien für die Bösewichte zu wecken und ihre Handlungen verführerisch plausibel erscheinen zu lassen. Zum Ende der Staffel zieht die Spannung dann kontinuierlich an, so dass morgen gerne bereits Staffel 3 folgen dürfte.

Einen kleinen Kunstgriff des Buches kriegt die Staffel - Achtung, Spoiler! - dann übrigens auch noch auf die Reihe. Im Buch wie in der Serie gelingt es Tagomi, in die bekannte "reale" Welt zu wechseln, in der die Alliierten den Krieg gewonnen haben. Im Buch stellt Dick dabei das japanische San Francisco mit seiner recht gütig-buddhistisch geprägten Verwaltung dem realen San Francisco mit allen Auswirkungen des Kapitalismus gegenüber. In der Serie macht Tagomi einen Abstecher aus seiner Welt, in der die beiden Großmächte Japan und Deutschland kurz vor einem Atomkrieg stehen, und reist in die reale Welt, wo gerade die Kuba-Krise herrscht und noch die Auswirkungen von Hiroshima und Nagasaki zu spüren sind. Wenn man es also genau nimmt, zeigt das dann auch: So viel schlechter als die wirkliche Welt ist eine Dystopie gar nicht. Jedenfalls ein nettes Gedankenspiel...
Dieser Beitrag wurde 3 mal editiert, das letzte Mal am 24.01.2017, 08:46 von Aldridge.