Komplettes Thema anzeigen 12.07.2015, 21:38
Aldridge Abwesend
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Betreff: Re: Der letzte Film
Lincoln – Lincoln ist ein Biopic und doch ist es keines. Regisseur Steven Spielberg und sein Autor Tony Kushner haben sich da drei – zugegeben: nicht ganz unwichtige – Monate aus dem Leben des amerikanischen Präsidenten herausgepickt. Nämlich die, in denen er gegen starken politischen Widerstand und mit einigen Schummeleien und Winkelzügen den 13. Zusatz der amerikanischen Verfassung durch das Repräsentantenhaus paukt, der die Sklaverei verbietet. Die Frage, die daraus resultiert: Schafft es der Film, politisches Ränkespiel und menschliche Charakterzeichnung zu vereinen, oder ist er weder Fisch noch Fleisch? Schwierig. Als Film selbst ist Lincoln makellos: Spielberg zeichnet das politische Drama detailverliebt nach und schafft es, amerikanische Geschichte auch für Nichtamerikaner verständlich zu machen. Abseits des Geschehens auf dem Schlachtfeldern, das nur an zwei Stellen gezeigt wird, und dort auch nur stark vereinfacht, lässt er seine historischen Figuren viel reden und taktieren. Und auch, wenn man dem Ganzen Geschwätzigkeit vorwerfen könnte, so ist das doch eine interessante Geschichtsstunde darüber, wie Demokratie funktionieren mag.

Doch wie steht es dabei um die Titelfigur? Schafft der Film das Porträt vor dem Hintergrund des politischen Hin und Hers? Zumindest müht er sich redlich. Daniel Day Lewis gibt den Lincoln sympathisch, aber bestimmt. Introvertiert und nachdenklich, dann wieder als schlauen Geschichtenerzähler, doch in der Sklaverei-Frage unbeirrt. Und da muss sich der Film den Vorwurf gefallen lassen, dass er sich ein bisschen Pathos und Personenkult doch nicht ganz verkneifen kann. Das geschieht bereits in den ersten Minuten, wenn einige schwarze Soldaten vor ihrem Präsident stehen und mit leuchtenden Augen seine Reden rezitieren. Immerhin – und das thematisiert der Film nicht explizit – ist das der Mann, der die Grundrechte einschränkte und Massenschlachten sowie verbrannte Erde zumindest hinnahm. Spielbergs Lincoln schwebt genauso über diesen Aspekten seiner Geschichte wie über der diskutablen Stimmenbeschaffung. Und das ist vielleicht auch der Grund, warum der Film letztlich seltsam emotionslos und Lincoln selbst schwer greifbar bleiben. Als elegant inszenierte Geschichtsstunde aber trotzdem empfehlenswert.
Dieser Beitrag wurde 2 mal editiert, das letzte Mal am 12.07.2015, 22:32 von Aldridge.